Follower - Die Geschichte einer Stalkerin
den Konflikt anzumerken. Er lächelte kaum sichtbar.
„Ich geh Blut spenden. Alle acht Wochen“, erklärte er. „Was hast du denn gedacht?“
„Ich … nichts. Keine Ahnung.“ Sie wurde ein wenig rot und ihr fiel auf, wie wenig sie über ihn wusste.
„Geht’s dir denn gut genug, um bis zu meinem Auto zu gehen?“, fragte sie und wechselte damit das Thema.
„Ich schaff das. Sobald die mich weglassen, fahren wir.“
16
Jannika sah die Frau am Straßenrand hektisch winken und setzte den Blinker. Für einen Mann hätte sie nicht angehalten – so im Dunkeln, aber vielleicht hatte die Frau einen Unfall gehabt. Sie hielt an und ließ das Fenster ein Stück herunter.
„Kann ich Ihnen helfen?“, fragte sie. „Sie sind ja verletzt!“
„Ist nicht so schlimm. Mein Freund … er hat mich geschlagen“, sagte die Frau. „Können Sie mich mitnehmen? Bis in die Stadt? Ich muss zu einem Bahnhof. Welcher wäre egal.“
„Wollen Sie denn nicht lieber zur Polizei?“, fragte Jannika. „Das müssen Sie anzeigen.“
„Werde ich wahrscheinlich auch. Nehmen Sie mich mit?“
„Steigen Sie ein. Wo ist ihr Freund jetzt?“, fragte Jannika, während die Frau sich neben sie auf den Beifahrersitz setzte.
„Der Mistkerl liegt im Arm einer Schlampe und heult sich aus oder was weiß ich“, sagte sie. „Ich bin Nicole. Danke, dass Sie mich mitnehmen.“
„Jannika. Mach ich gern.“ Jannika gab wieder Gas und fuhr auf die Straße zurück. „Das ist Körperverletzung. Sie müssen ihn anzeigen“, fuhr sie fort.
„Männer sind alle gleich“, sagte Nicole. „Ich hab ihn mit ner anderen erwischt und er scheuert mir eine. Er mir!“
„Dreckskerl“, sagte Jannika. „Meiner hat mich auch verarscht. Aber mal ehrlich. Wer von denen verarscht uns nicht? Man sollte Single bleiben. Im Handschuhfach hab ich Feuchttücher, wenn Sie mögen.“
„Danke. Ich sehe bestimmt schlimm aus.“ Nicole nahm sich die Feuchttücher aus dem Handschuhfach und klappte den Spiegel herunter. „Zum Glück hab ich Make-up dabei.“
Jannika riskierte einen Seitenblick und sah einen Schmutzfleck auf Nicoles Jeans. Als wäre sie hingefallen. Nicole schien ihren Blick zu bemerken und erwiderte ihn kurz.
„Ist was?“, fragte sie.
„Nein“, sagte Jannika. „Nichts.“ Sie konzentrierte sich auf die Straße. Etwas an dem Blick von Nicole, an ihrem Tonfall beim Sprechen, kam ihr merkwürdig vor. Sie wurde unsicher. Die Atmosphäre hatte sich verändert und die anfängliche Verbundenheit war verschwunden. Jannika wusste plötzlich, dass sie diese Frau loswerden wollte. Sie würde sie so schnell wie möglich am Ostbahnhof absetzen.
Daniela stieg aus dem Auto und bedankte sich bei Jannika. Sie betrat das hell erleuchtete Bahnhofsgebäude. Heute war Sonntag, aber die Läden im Bahnhof waren natürlich geöffnet. Sie ging durch die große Vorhalle, an dem Schnellrestaurant vorbei und die geschwungene Treppe hinauf in den ersten Stock. Ein Laden mit billiger Kleidung, Accessoires, Spielzeug und Dekoartikeln … das war genau das, was sie suchte. Daniela beeilte sich. Sie wählte ein paar schrille Teile, eine bunte Strumpfhose, einen grünen Minirock und goldene Ballerinas. Außerdem kaufte sie noch ein Kopftuch, das ihre Haare samt der Stirnwunde verbergen würde und eine neue Handtasche. An der Kasse legte sie zusätzlich noch einen pinken Lippenstift aufs Band. Sie zahlte und lief dann mit ihren Einkäufen wieder ins Erdgeschoss. Sie war jetzt dankbar, dass sie instinktiv ihr Konto leer geräumt hatte, als sie die Klamotten für Kiran gekauft hatte. An einen Bankautomaten konnte sie sich nicht trauen. Daniela warf Geld in den Automaten des WC-Centers und verschwand dann in einer der geräumigen Kabinen. Sie brauchte gute fünfzehn Minuten.
In ihrer neuen Verkleidung ging sie in den Vorraum zu den Waschbecken und trug den pinken Lippenstift auf.
Nachdem sie im Schlafzimmer des Ferienhauses aufgewacht war, hatte sie einfach nur gehandelt. Mechanisch und emotionslos. Sie hatte ihr Geld und ihre Handtasche geschnappt und war in den Wald gelaufen. Patricia hatte bestimmt die Polizei gerufen und im Auto kam sie nicht weit. Auch den Flughafen musste sie meiden. Sie würde die Bahn nehmen. Dort brauchte sie keinen Personalausweis.
Daniela ging ins Reisezentrum und wählte einen der Automaten mit Barzahlung. Ihre Bankkarte war wertlos und sie durfte sie sowieso nie wieder benutzen. Sie löste ein Ticket nach Prag, wartete auf den
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