FOOD CRASH
Chemiestandort. Da geht es einfach nicht an, wenn jemand einer Landwirtschaft Vorschub leistet, die keine Chemikalien braucht.
Kirchliche (ebenso wie andere private) Hilfswerke haben sich schon lange für eine Landwirtschaft eingesetzt, wie ich sie im Kapitel über die Ökologische Intensivierung beschrieben habe. Schon zu meiner Zeit in Haiti, also vor 30 Jahren, erwartete man von einem wie mir, dass er als Erstes einen Komposthaufen ansetzt, damit auch alle wissen, wo der Hase lang läuft. Nicht dass das mit dem Kompost falsch gewesen wäre. Aber ein Schuh wurde erst daraus, als man verstand, dass die Bäuerinnen und Bauern selbst das System ihrer Landwirtschaft entwickeln müssen – weder unter der Indoktrinierung durch ökologisch korrekte Entwicklungshelfer noch gedrängt durch die Verkaufsagenten chemischer Produkte oder genmanipulierten Saatgutes. Dass sich dann Projekte mit Erfolg entwickeln können, die auf die eigenen Kräfte und die der Natur setzen und die es verhindern, dass die Bauern von unseren Industrieprodukten abhängig werden, dafür gibt es viele und vielversprechende Beispiele.
Das bedeutet aber nicht, dass nicht auch die, die solche Prozesse unterstützen wollen, sich entscheiden müssen. Denn wer Düngemittelbelieferungen subventioniert, setzt Rahmenbedingungen. Und wer Forschungsprogramme finanziert, tut es auch. Die Entscheidung muss geprägt sein von dem, was die Bauernfamilien wollen und brauchen, und sie muss in Betracht ziehen, was wir über die globalen Zusammenhänge, die Verfügbarkeit von Ressourcen und deren Endlichkeit und von der Auswirkung menschlichen Handelns im Ökosystem wissen. Denn auch der philippinische Kleinbauer ist nicht per se gut, hat nicht einen natürlichen Instinkt für das absolut Richtige und ein Urgefühl für die Auswirkung seines Tuns auf das große Ganze. Was er hat, sind wertvolle Erfahrungen und Wissen, das sich in ganz anderen Kategorien befindet als das, was in unseren Lehrbüchern steht. Er ist aber durch Professoren und durch Werbeplakate ganz genauso zu beeinflussen wie sein Kollege aus dem Allgäu oder vom Niederrhein.
Auf den Bericht über die MASIPAG- Bewegung auf den Philippinen und ihre Erfolge hin habe ich mir eine Frage gestellt, die Sie vielleicht auch bewegt: Wenn es für die Bauern ein so eindeutiger ökonomischer und sozialer Fortschritt ist, auf die Ökologische Intensivierung zu setzen – weshalb sind dann bislang »nur« 35 000 Bauern dabei, nicht aber alle, die auf diesen Inseln Landwirtschaft betreiben? Die für das Projekt zuständige Referentin bei Misereor, Anja Mertineit, gab mir dazu Erklärungen, die wenigstens im Ansatz sichtbar machen, welche Faktoren die Entscheidung der Bauern über ihre Wirtschaftsweise beeinflussen: Vor allem, erklärte sie mir, sind die Philippinen geradezu das Mutterland der »Grünen Revolution«, in dem die allermeisten Bauern schon vor Jahrzehnten ihre traditionellen Reissorten durch die modernen Hochertragssorten ersetzt haben. Das macht ihnen eine Umstellung auf ein neues System schwer, zumal dort – genauso wie bei mir in Südhessen – ein Ausscheren aus dem Mainstream von den Nachbarn verlacht und von denen als rückständig gebrandmarkt wird, die für das Input-intensive System stehen. Das ist vor allem die Agrarindustrie, die mit ihrer Werbung Einfluss nimmt und von deren Händlern viele Bauern durch Verschuldung beim Betriebsmitteleinkauf abhängig sind.
Auch die staatlichen Beratungsdienste propagieren die »moderne« Intensivlandwirtschaft und werden vom Staat darin unterstützt, indem er den Verkauf von Düngemitteln subventioniert. Vielleicht aber am wichtigsten: Ökologische Landwirtschaft erfordert ein Umdenken von der Mittelanwendung (»Hier ist eine Pflanzenkrankheit, dort ist das Medikament«) hin zu Systemen (»In welcher Mischung von Pflanzen und Fruchtfolgen reduziert sich der Krankheitsdruck?«, »Wie halte ich den Boden gesund?«, »Wie interagieren Nutztiere und Nutzpflanzen?« etc.). Das setzt komplexes Wissen über das Ökosystem, in dem man arbeitet, voraus, ein Wissen, das meist nicht vorhanden ist und das zu erwerben Zeit und Mühe kostet.
Diese Hindernisse machen gleichzeitig deutlich, wo Entwicklungsarbeit ansetzen kann. Die bereits ausführlich geschilderte Realität dort, wo 70 % der Nahrungsmittel der Welt erzeugt werden, macht auch deutlich, welche Personengruppe in den Fokus der Entwicklungsarbeit gestellt werden muss: Frauen und kleinbäuerliche
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