FOOD CRASH
zur Welt bringen (also ca. 4,5 Jahre alt werden), werden Kühe solcher Betriebe ohne weiteres doppelt so alt und können auf diese Weise sechs- oder siebenmal kalben und entsprechend lange Milch geben.
Eine der Folgen der geringen Nachwuchszahl je Kuh ist, dass die Milchbauern praktisch aufgehört haben, selbst zu züchten. Dazu muss man wissen, dass seit jeher die Bauern selbst und nicht irgendwelche Züchtungsunternehmen für den genetischen Fortschritt der Rinder verantwortlich waren. Sie wählen den Bullen aus, der ihren Kühen zugeführt wird (oder dessen Sperma der Tierarzt appliziert), und sie entscheiden, welche ihrer jetzigen Kühe zur Mutter ihrer künftigen Kühe werden sollen. Wenn man davon ausgeht, dass nur die Hälfte aller Kälber weiblich ist, dann braucht man mindestens drei Kälber je Kuh (und wegen der möglichen krankheitsbedingten Ausfälle bei der Nachzucht sogar noch mehr), um auswählen zu können. Hat man die nicht, dann muss jedes weibliche Kalb wieder aufgestellt werden. Den Zuchtfortschritt bestimmen dann nur noch die Bullen, denn deren Sperma ist nahezu unbegrenzt. Damit aber wird die genetische Vielfalt der Züchtung immer geringer. Es gibt Hochleistungsbullen, die können auf die stolze Zahl von 200 000 Nachfahren blicken (wenn sie denn von ihnen wüssten). [31]
Ich weiß nicht, wie vielen Milchbauern bewusst ist, was ihnen die Hochleistungsfütterung von südamerikanischem Soja und Getreide alles beschert: eine Mengenproduktion, in deren Folge die Preise auf ein Niveau gesunken sind, mit dem kaum noch einer auf seine Kosten kommt. Einen Haufen an tiermedizinischen Problemen im Viehbestand. Daraus den Zwang, immer größer zu werden und immer verrücktere Arbeitsbelastungen auf sich zu nehmen. Und dann auch noch den Verlust der Souveränität über die eigene Züchtung – auf die ihre Väter und Mütter mit Recht immer stolz gewesen sind!
Was die Haltungsformen betrifft, so sind die meisten Milchkühe deutlich besser dran als Mastrinder oder gar Schweine. Denn Milchkühe haben das Glück, wenigstens zweimal täglich etwas abliefern zu müssen: ihre Milch. Abholen ist längst zu arbeitsaufwendig geworden. Deshalb sind moderne Milchviehställe heute so gebaut, dass ihre Bewohner sich frei darin bewegen können, um zur gegebenen Zeit den Melkstand aufzusuchen. Weder für die zur Mast bestimmten Kälber noch für die großen Mastrinder besteht solcher Bedarf an Freizügigkeit – weshalb sie in Boxen gehalten werden, deren Boden aus Schlitzen besteht (»Spaltenböden«), durch die ihre Ausscheidungen direkt in die Güllegrube gelangen.
Das ist auch bei Schweinen so. Rund 53 Millionen von ihnen beginnen jedes Jahr ihr Leben als Ferkel auf Lochblechen und beenden es sechs Monate später als Mastschweine auf Vollspaltenböden. Da der Ferkelproduzent, der Ferkelaufzieher und der Mäster meist verschiedene Bauern sind, hat jedes Ferkel allerdings bis dahin meist schon zwei Reisen hinter sich. Wenn es dann die dritte Reise antritt, wo es durchschnittlich 95 kg auf die Viehwaage und 76 kg Fleisch zum Metzger bringt, hat es 250 kg Mastfutter vertilgt [32] , aufgeteilt in 175 kg Getreide (Gerste, Weizen, Mais), über 60 kg Raps- und Sojafuttermittel und 15 kg Mineralfutter. [33] Dazu hat das Schwein im Laufe seines kurzen Lebens über 1000 l Wasser getrunken.
Der Weg der 57 Millionen Masthähnchen ist noch deutlich kürzer. Wenn es der Kükenproduzent zum Mäster geliefert hat, ist es einen Tag alt. In einem Stall, in dem jedem Tier nur eine Fläche von 19 x 19 cm zur Verfügung steht – das ist weniger als ein A4-Blatt Papier – und den es sich standardmäßig nicht selten mit 20 000 bis 30 000 anderen Tieren teilt, frisst es 2600 g sogenanntes Alleinfuttermittel für Masthähnchen – bestehend aus fett- und proteinreichen Pellets (Mais, Soja, Weizen), ehe es bei der üblichen Kurzmast im Alter von 32 Tagen eingefangen und in das Fließband des Schlachthofes gehängt wird. Dort wiegt es 1500 g, wovon sich dann etwa 1 kg an den Spießen der Grillwagen am Bonner Hauptbahnhof dreht. Dort sehe ich sie hin und wieder, wenn ich auf dem Weg ins Landwirtschaftsministerium, regelmäßig wegen Zugverspätung in Eile, an dem Wagen vorbeihaste, auf den ausgelassen fröhliche Hühner auf grüner Wiese gemalt sind.
Ganz ähnlich ergeht es den jährlich 38 Millionen geschlachteten Puten, deren Fleisch sich in Streifen auf bunten Salaten oder als sauber
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