FOOD CRASH
den Mittagstisch brachten, bezog sich auf den Namen einer großen kirchlichen Hilfsorganisationen: »Brot für die Welt! – Aber die Wurst bleibt hier …!« Damit ist zunächst der Verdacht in Worte gefasst, wir seien beim Teilen nicht ganz so altruistisch, wie wir sein sollten. Erst lange nachdem ich diesen Spruch zum ersten Mal gehört habe, ist mir klargeworden, dass es um mehr gehen könnte. Dass nämlich unsere Wurst andere ihr Brot kostet.
Das hat etwas damit zu tun, dass sowohl wir selbst als auch unsere Nutztiere in den letzten 50 bis 100 Jahren den Speisezettel deutlich geändert haben.
Schafe, Ziegen und Rinder und andere Wiederkäuer sind Tiere, die etwas können, was wir Menschen nicht können: Sie sind in der Lage, in Zusammenarbeit mit den Mikroorganismen in ihrem Pansen Zellulose zu verdauen, weshalb sie von den Flächen wie Grünland ernährt wurden, die auf direktem Weg für die menschliche Ernährung nichts beitragen. Sie fraßen Gras, knabberten an den Blättern von Bäumen und Büschen und an dem, was nach Aberntung der Felder auf dem Acker noch zu finden war. Dazu kam Ackerfutter, das als Zwischenfrucht oder in Jahren der Bodenruhe im Rahmen der Fruchtfolge angebaut wurde.
Auch Gänse und Hühner wurden so gehalten. Wenn aber das, was die Tiere im Hof und Garten aus dem Boden kratzen oder an Grünem an den Weg- und Bachrändern abzupfen konnten, nicht ausreichte, dann wurden ihnen schon mal Körner vorgestreut – am liebsten die, die sich beim Dreschen nicht aus der Spreu gelöst hatten oder die durchs Sieb gegangen waren, als das Getreide für die Mühle oder das neue Aussäen aufbereitet wurde.
Ähnlich war das bei den Schweinen. Auch sie lebten von den Abfällen der Menschen, mit denen sie umso mehr anfangen können, als sie ein Verdauungssystem haben, das dem menschlichen sehr ähnlich ist. Zu bestimmten Jahreszeiten wurden sie in den Wald getrieben, um sich dort mit Eicheln und Bucheckern und allem anderen zu mästen, was man aus einem lebendigen Waldboden wühlen kann.
Der Moment lässt sich wohl nicht festmachen, an dem man damit begonnen hat, Futterpflanzen für die Nutztiere anstelle von Nahrungspflanzen anzubauen. Wann wurde die Runkelrübe vom Arme-Leute-Essen zum Leistungssteigerer für die Milchleistung der Kühe? Und ab wann diente die Gerste nicht mehr zur Produktion von Fladenbrot, sondern der Gewichtszunahme der Schweine? Sehr wahrscheinlich hat das auf den großen Gutsbetrieben begonnen, in denen die Fläche zur Eigenversorgung eine ebenso untergeordnete Rolle spielte wie die häuslichen Abfälle. Das waren Betriebe, in denen schon früh die Betriebswirtschaft das Ruder in die Hand nahm, um zu bestimmen, was wo und wie erzeugt wird.
Der Beginn unserer modernen Futterwirtschaft mag schwer zu fassen sein – dafür ist schnell zu beschreiben, wo die Nutztierfütterung heute angekommen ist (dabei beziehe ich mich auf die in der konventionellen Tierhaltung übliche Fütterung und Haltung und auf Zahlen für Deutschland):
Im Jahr 2010 wurden 1 536 695 [28] männliche Rinder als Bullen und 36 702 als Mastochsen geschlachtet. Für sie gibt es grundsätzlich zwei Haltungsformen. In der »Mutterkuhhaltung«, für die man meist extensivere Rassen wie die schwarzen Angus-Rinder einsetzt, bleiben die Kälber mit den Müttern auf der Weide. Die entscheidende Begegnung der Kühe mit dem Bullen (oder dem Tierarzt und seinem Besamungsröhrchen) erfolgt zeitlich so koordiniert, dass alle Kälber in einem möglichst engen Zeitraum zwischen Dezember und Februar das Licht der Welt erblicken und gemeinsam aufwachsen. In unserem rauhen Klima verbringen die Kühe den Winter im Stall und kommen im Frühjahr wieder hinaus ins Grüne. Dort stehen sie zusammen mit ihren Kälbern, die ihre Milch trinken und dazu Gras fressen, wenn sie es einmal gelernt haben. Im Alter von acht bis zehn Monaten werden die Jungtiere aus der Winterkalbung von den Müttern getrennt. Sie wiegen jetzt etwa 250 kg. Nun beginnt die Mastphase. Damit hohe Tageszunahmen von durchschnittlich 1,1 kg erzielt werden, wird die Diät umgestellt. Die tägliche Ration besteht jetzt aus Grundfutter wie beispielsweise Heu und zusätzlich eiweißreicherem Kraftfutter – vor allem Sojaschrot und Getreide. Aus dieser naturnäheren Haltungsform stammen ca. 15 % der in Deutschland geschlachteten Mastrinder.
Beim Rest geht es deutlich intensiver zu: Wenige Tage nach dem Kalben werden die Kälber von der Mutter getrennt und
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