FOOD CRASH
weniger Fleisch essen würden, gab es ein Raunen in den Reihen der alternativen Landbau- und Umweltverbände.
»Endlich sagt es mal jemand«, war der Grundtenor, und viele begannen sich auf eine Ministerin mit Profil und eigener Position zu freuen. Doch diese Freude hielt nur wenige Tage an. Zu groß war der Sturm der Entrüstung bei den Gewaltigen der Branche. Jürgen Abraham, der nicht nur Vorsitzender der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie, sondern auch ein höchst erfolgreicher Schinkenhersteller ist, konnte für solch leichtfertige Rede kein Verständnis aufbringen. Und auch der mächtige Bauernverbandspräsident Gerd Sonnleitner war fassungslos. Es gehe doch wohl nicht darum, den Menschen Verzicht predigen zu wollen. Es war deshalb nicht überraschend, dass in der Eröffnungs-Pressekonferenz das Statement vor der versammelten Medienlandschaft zur »Ente« wurde.
Was mich an so einer Haltung verstört, ist nicht nur die Weigerung, der Wirklichkeit ins Auge zu sehen.
Schließlich hätte die Ministerin anführen können, dass etwas nicht stimmt, wenn für uns Europäer in Argentinien und Brasilien auf mehr als der Ackerfläche Deutschlands, nämlich 16 Millionen Hektar, Sojabohnen als Eiweißfuttermittel angebaut werden. Dass es schlicht nicht sein kann, wenn unsere Exporte auf vielen Märkten der Welt Schaden für die Landwirtschaft vor Ort anrichten. Dass unser globales Ökosystem zusammenbricht, wenn dem Vorbild unserer Ernährungsgewohnheiten nachgeeifert wird.
Sie hätte zumindest darauf verweisen können, dass die Deutsche Gesellschaft für Ernährung zu weit geringerem Fleischkonsum rät als dem, was der Durchschnitt der Bevölkerung zu sich nimmt. Sie empfiehlt einen Konsum von Fleisch (inkl. Wurst) von 300 bis 600 g wöchentlich, was maximal der Hälfte (bei 600 g wären es 31,8 kg pro Jahr … des durchschnittlichen Konsums der Deutschen entspricht. [43]
Denn schließlich werden nicht wenige Krankheiten zu Volkskrankheiten, die auch mit einer Überversorgung mit tierischem Fett und Eiweiß zu tun haben: Übergewicht, Gicht, Cholesterinungleichgewichte, Arterienverkalkung etc. Als Christsoziale hätte sie auch dem Katholiken Sonnleitner vorhalten können, dass Verzicht keineswegs außerhalb der Handlungsmöglichkeiten von uns Menschen liegt. Selbst eingefleischten Hedonisten müsste das Argument zugänglich sein, dass ein Verzicht auf etwas, wovon man zu viel hat, in aller Regel die Lebensqualität erhöht. Doch nichts dergleichen geschah, denn schließlich ging es um ein so hohes Gut wie die Performance der deutschen Ernährungswirtschaft und unsere Position als Exportweltmeister!
Wie Frau Aigner und Herr Sonnleitner bin auch ich in einem kleinen bayerischen Dorf aufgewachsen. Wie in vielen Dörfern haben sich auch in Etterschlag geschichtsbewusste Bürger anlässlich eines Ersterwähnungsjubiläums über Dokumente aus vergangenen Zeiten hergemacht und einen dicken Band zur Dorfgeschichte verfasst.
Hof für Hof kann man darin durch das Dorf und seine Vergangenheit blättern. Ein bestimmter Typus an Dokumenten taucht dabei immer wieder auf: die Altenteilerverträge. Darin wird bei einer Hofübergabe der Alten an die Jungen vor allem festgelegt, wo die Austragswohnung ist und welche Naturalleistungen des Hofes den Eltern des Hoferben zustehen. Einer der großen Höfe in meinem Heimatdorf war der Königbauerhof. Dort wird in einem Vertrag aus dem 19. Jahrhundert Folgendes festgelegt: »Sollte sie die Kost über Tisch nicht mehr nehmen wollen, so bekommt sie täglich ein Maß Milch, jährlich … sechsunddreißig Pfund Schmalz, fünfzehn Pfund Butter, zweihundert Eier … außerdem
zur Kirchweih jeden Jahres jedes Mal zehn Pfund Rindfleisch, zu Weihnachten jedes Mal fünf Pfund Rindfleisch … zu Ostern und Pfingsten jedes Mal drei Pfund Rindfleisch.
« Auf dem stattlichen Anwesen des Königbauern hatte – im Gegensatz zu manchem Arbeiterhaushalt dieser Zeit – sicher niemand Hunger zu leiden, auch die Mutter nicht. Aber dass jeden Tag bei drei Mahlzeiten Fleisch oder Wurst auf dem Tisch hätte stehen müssen, das wäre dort niemand in den Sinn gekommen. Ich erinnere mich auch nicht daran, das Wort »Sonntagsbraten« als Gegensatz zu »Werktagsbraten« gehört zu haben. Nein, es gab eben Braten am Sonntag, weil das ein besonderer Tag war, und an den anderen Tagen gab’s keinen!
Umweltverbände lassen in diesem Zusammenhang auch einen Nebenkriegsschauplatz nicht
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