FOOD CRASH
Großen im weltweiten politischen Geschäft jedoch weder stark genug, noch verfügen sie über die administrativen Voraussetzungen, um die gleichen Barrieren an ihren eigenen Grenzen aufzubauen. Dazu kommt, dass auch der ärgste Diktator – und schon gar jeder gewählte Politiker – auf die gute Stimmung seiner städtischen Massen angewiesen ist. Deshalb würde kaum ein Land in Afrika, Asien oder Lateinamerika die Möglichkeit ausschlagen, billig an Grundnahrungsmittel zu kommen. Schon gar nicht dann, wenn es sie überhaupt nichts kostet. Das ist der Fall, wenn wegen einer akuten oder chronischen Hungersnot im Lande Lebensmittelhilfen geschickt werden. Oft ist das bitter notwendig. Manchmal aber hat es den faden Beigeschmack einer Entsorgung im Interesse des Überschussabbaus.
Welche Auswirkungen unsere Agrarexporte für die Bauern in diesen Ländern haben, kann man sich unschwer vorstellen. Davon konnte ich mich nicht nur in vielen Diskussionen, sondern auch zweimal »im Feld« überzeugen. Das erste Mal im Jahr 1983 in Haiti. In der kleinen Provinzhauptstadt Les Cayes war – natürlich mit Hilfe von Entwicklungshilfegeldern – eine kleine Molkerei errichtet worden. Die sammelte Milch von den vielen Bauern ein, die oft nur eine Kuh haben. Die grast an den Wegrändern und auf Brachflächen oder knabbert das Stroh nach der Mais- oder Hirseernte ab. Die Milchmengen waren zwar nie groß, aber ein paar Dollar in der Woche zusätzlich zu haben ist für all die haitianischen Bauern, die eigentlich über gar kein Bareinkommen verfügen, nicht wenig. So wie die etwas betuchteren Bewohner von Les Cayes konnten auch wir dort hin und wieder Milch, Butter und Joghurt erwerben, bis eines Tages die Molkerei ihre Tore schließen musste. Denn mit dem Preis für Milch aus amerikanischem Milchpulver konnte sie nicht mithalten. Es stammte aus großen Kartons mit der Aufschrift »Gift of the United States of America. Not to be sold« [46] .
Das zweite Mal begegnete mir das Problem Anfang der 90er Jahre im Kongo, der damals noch Zaire hieß. Ich hatte im Auftrag von Misereor ein großes ländliches Entwicklungsprojekt zu evaluieren. Das Projektgebiet war die Diözese von Idiofa, etwa 400 km von Kinshasa entfernt. In einem der Dörfer hatten die Projektverantwortlichen eine sehr kreative Idee umgesetzt, mit der gleichzeitig drei Probleme gelöst werden sollten: die Verbesserung der Versorgung mit Grundnahrungsmitteln, die Einführung einer »cash crop«, also einer Kulturart, mit der sich Geld verdienen lässt, und die Verbesserung der Situation der Frau. Dazu muss man wissen, dass in dieser Region des Riesenlandes (ich fürchte, es ist allerdings fast überall in Afrika genauso) die gesamte Last des Wirtschaftens und der häuslichen Arbeit den Frauen obliegt. Sie versorgen die Kinder, kochen das Essen, halten die Unterkunft sauber und machen die Feldarbeit.
Der Mann hat eine Rolle, die von der Geschichte überholt worden ist: Er ist für die Rodung des Urwaldes zuständig. Zu Zeiten, in denen die Bauern die Fruchtbarkeit ihres Ackers nur durch Inanspruchnahme von frischem Urwald herzustellen wussten, der nach ein paar Jahren der Nutzung wieder aufwachsen konnte, gab es ständig etwas zu roden. Heute ist das vorbei, und die meisten Männer haben sich auf die Produktion und den Konsum von Palmwein spezialisiert – was so recht nichts zum Wohlstand der Familie beiträgt.
Die Idee des Projektes war es nun, mit Trockenfeldreis (also Reis, der auch gedeiht, ohne ständig im Wasser zu wachsen) eine neue Kultur einzuführen. Den Menschen wurde erläutert, dies sei eine sehr komplizierte Pflanze, die nur unter höchst kompetenter Pflege zum Ertrag geführt werden kann. Und die hat natürlich der Mann beizusteuern. Dieses Kalkül ging tatsächlich auf. Die im Sozialprestige aufgewertete Pflanze wurde auf geradezu fanatische Art und Weise zum Hobby der Männer des Dorfes, die auf keinen Fall ihre Frauen daran lassen wollten. Ich erinnere mich noch an die schöne neue Lagerhalle, gefüllt mit Reis aus der ersten Ernte. Wenig später habe ich vom Ende des Projektes erfahren – in den USA hatte es eine gute Reisernte gegeben, die Preise für Importreis waren so tief gefallen, dass die einheimische Produktion keine Chancen mehr hatte.
Nun hat sich in den 20 Jahren, die seitdem vergangen sind, etliches zum Besseren gewandelt. Die Europäische Union hat die Marktordnungen fast vollständig abgeschafft. An die Stelle von Preisstützungen
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