FOOD CRASH
Schwund vor allem durch das oben beschriebene Wegwerfen bewirkt. In den armen Ländern sind die schlechten Lager- und Transportbedingungen auf allen Stufen – vom Acker bis zur Küche – für dieses Missverhältnis verantwortlich. [44]
Steuergeld für Marktzerstörung
Eines der vordringlichsten Anliegen der Gründungsnationen, die 1957 mit den Römischen Verträgen die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft ins Leben riefen, war die sichere Versorgung ihrer Bevölkerungen mit Lebensmitteln. In Erinnerung an die entbehrungsreichen Nachkriegsjahre wurden Instrumente gesucht, um die Bauern zu hoher Produktivität und den Markt zu lebhaftem Austausch anzuregen.
Ab 1962 wurde dann ein Bündel an Instrumenten entwickelt, das diesem Ziel dienen und außerdem die Einkommen der Bauern stabilisieren sollte. In 22 Produktbereichen wurden »Marktordnungen« eingerichtet. Sie bewirkten, dass der Staat zu einem jeweils festgelegten
Interventionspreis
alle Produkte aufkaufen musste, die ihm angeboten wurden. Auf diese Weise war gesichert, dass der Erzeugerpreis nie unter ein bestimmtes Niveau sinken konnte. Gleichzeitig wurde ein Außenhandelsschutz aufgebaut. Ein flexibles System von Zöllen ermöglichte, dass unter einem bestimmten Schwellenpreis niemand in die Gemeinschaft importieren durfte. Die solchermaßen stabil auf ordentlicher Höhe gehaltenen Preise bewirkten, was sie bewirken sollten. Die Bauern kauften eifrig Düngemittel und Pestizide und produzierten mit voller Kraft. Doch aus dem anfänglichen Erfolg wurde langsam, aber sicher ein Fluch. Als die Lagerhäuser immer voller, die Butterberge immer höher und die Milchseen immer tiefer wurden, stiegen die Kosten der Agrarpolitik ins Unermessliche. Als Ende der 80er Jahre die Bestände dessen, was die EU zur Stabilisierung der Preise aufgekauft hatte
(Interventionsbestände),
auf die unglaubliche Menge von 20 Mio. Tonnen Getreide, 337 000 Tonnen Magermilch und 512 000 Tonnen Rindfleisch angewachsen waren, flossen fast 70 % des gesamten EU -Haushaltes in die Agrarpolitik. [45]
Was während dieser Zeit nicht gelang, war die Sicherung der bäuerlichen Existenzen. So haben seit Beginn der Gemeinsamen Agrarpolitik 80 % der damals in Deutschland wirtschaftenden Betriebe aufgegeben oder wurden im Generationswechsel nicht mehr weitergeführt. Das ist nicht weiter verwunderlich, wenn man bedenkt, dass praktisch alle Zahlungen der EU an ihre Bauern – heute sind das fast 60 Milliarden Euro jährlich – so berechnet wurden, dass ein Betrieb umso mehr Zuschüsse erhielt, je größer er war.
Der enorme Zugewinn an Produktivität je Arbeitskraft führte dazu, dass der Anteil des Einkommens, den ein Bürger auf den Erwerb von Lebensmitteln aufwenden muss, stetig sank. Lag er in den 50er Jahren noch bei 50 %, so ist der Haushaltsposten »Ernährung« heute mit 12 % geringer geworden als der Haushaltsposten »Mobilität«. Das ist erfreulich für die Verbraucher. Es hatte aber für die Höfe, die Dörfer, die sie umgebende Natur und am Ende auch für die Qualität der Nahrungsmittel erhebliche Konsequenzen, auf die die Rede noch kommen wird.
Die Auswirkung der Agrarpolitik beschränkte sich aber durchaus nicht auf die Bewohner der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der auf sie im Jahr 1992 folgenden Europäischen Union.
Ursprünglich sollten durch die Interventionslagerung stabile Preise und ein gleichmäßig versorgter Markt erhalten werden. Ähnlich wie einst bei Josef in Ägypten, sollte in fetten Jahren aufgekauft und in mageren Jahren wieder auf den Markt gebracht werden. Die fetten Jahre wollten aber nicht mehr enden. Der technische Fortschritt im Stall und auf dem Acker und die mit Hilfe des überseeischen Futtermitteleinkaufes immer mehr ausgeweitete Viehwirtschaft führten zu ständig steigenden Produktionsmengen. Und die mussten ja irgendwie untergebracht werden. Die Wirtschaftsgemeinschaft zahlte deshalb
Exporterstattungen
, mit deren Hilfe der Unterschied zwischen den hohen Preisen des Binnenmarktes zu den niedrigen Preisen des Weltmarktes ausgeglichen werden konnte. Auf diese Weise konnten die Überschüsse der europäischen Produktion auf den Märkten der Welt konkurrenzfähig gemacht werden. Weil auch andere Industrienationen außerhalb Europas für einen Außenschutz sorgten, der den Weltmarkt von ihren Bauern fernhielt, blieb als Ziel des EU -Agrarramsches nur die »Dritte Welt«.
Diese Entwicklungsländer sind in der Konkurrenz zu den
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