FOOD CRASH
tatsächlich bestehende Beispiele gegeneinander abwägt.
Erst recht muss ein zweiter Einwand zurückgewiesen werden, der auf die künftig noch möglichen Produktionssteigerungen in der industriellen Landwirtschaft, insbesondere auf das Potenzial der Agro-Gentechnik verweist. Denn nicht nur ist von diesen Steigerungen nichts zu spüren. Außer beim Mais ist der Ertragszuwachs praktisch zum Stillstand gekommen. Das Gegenteil ist richtig: Angesichts der Milliarden, die in die konventionelle Agrarforschung investiert wurden, und der lächerlich geringen Mittel, die man für die Entwicklung der Ökologischen Landwirtschaft eingesetzt hat, ist gerade bei der Letzteren ein großes Potenzial zu vermuten, das darauf wartet, gehoben zu werden.
Ein völlig anderes Bild ergibt sich, wenn man die Ertragspotenziale des Ökologischen Landbaus mit den Resultaten einer intensiven Hochertragslandwirtschaft vergleicht, wie sie in Mitteleuropa üblich ist. Denn hier sind die konventionellen Hektarerträge deutlich höher als in Ländern wie Russland, Ukraine, USA oder China. Dort wird auf riesigen Flächen sehr viel extensiver gewirtschaftet als bei uns. Deshalb weichen dort die Erträge der ökologischen und der konventionellen Wirtschaftsweise nicht so stark voneinander ab, wie das bei uns der Fall ist.
Eine Arbeit an der Universität in Kassel-Witzenhausen [108] hat es unternommen, die verfügbaren Biomassepotenziale für Energie und Rohstoffe bei flächendeckendem Ökologischem Landbau in Deutschland anhand von Modellrechnungen zu ermitteln. Dabei wurde zunächst errechnet, welche Biomasse für Ernährung
und
Energieerzeugung zur Verfügung stehen würde, wenn man die gesamte Fläche nach den Regeln des zertifiziert ökologischen Landbaus bewirtschaften würde. Dann wurden Szenarien unterschiedlicher Konsummuster unterstellt, indem zwei Warenkörbe miteinander verglichen wurden: der tatsächliche Warenkorb, wie er sich aus dem durchschnittlichen Einkauf der deutschen Verbraucher ergibt, und ein Warenkorb, der auf einer 60%igen Reduktion des Fleischverbrauchs beruht. Das Ergebnis ist, dass unter dieser Voraussetzung 3,7 Millionen Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche [109] zur Verfügung stehen würden, um Energiepflanzen und sonstige nachwachsende Rohstoffe zu produzieren – ökologisch zu produzieren, wohlgemerkt!
Dies führt uns zurück zu dem Ausgangspunkt, den wir im zweiten Kapitel dieses Buches intensiv beleuchtet haben und den wir über aller statistischen Betrachtung nicht aus dem Auge verlieren dürfen: Es ist völlig egal, welches Produktionssystem wir einsetzen – ob es ein konventionelles ist (mit allen Nebenfolgen für unsere natürlichen Lebensgrundlagen) oder eines der Ökologischen Intensivierung: Wenn es uns nicht gelingt, die Ausbreitung des westlichen Lebensstils mit seinem hohen Fleischkonsum, seiner Überernährung und seiner Lebensmittelvernichtung zu verhindern, dann gibt es keine technische Lösung, die den Zusammenbruch des Ernährungssystems verhindert. Das Gleiche gilt für den Fall, dass es uns nicht gelingt, die Zerstörung unserer natürlichen Lebensgrundlagen, insbesondere, was den Boden und das klimatische Gleichgewicht betrifft, zu stoppen.
Ökologische Intensivierung –
Alles andere als eine verschrobene Einzelmeinung
Zwar steht ein Diskussionsbeitrag, wie dieses Buch einer sein will, für sich. Er muss sich an seinen Argumenten und an den Fakten, mit denen sie unterlegt werden, messen lassen. Meine Erfahrung deckt sich aber möglicherweise mit der meiner Leser: Einzuordnen, ob das, was ich lese oder höre, Hand und Fuß hat, fällt mir leichter, wenn ich wahrnehmen kann, ob eine Position isoliert als Einzelmeinung vorgetragen wird oder ob sie von anderen geteilt wird, denen ich Kompetenz zutraue. Ich will Ihnen deshalb einige sehr aktuelle Stimmen vorstellen, die in der Debatte Gewicht haben.
Ein Wälzer namens Weltagrarbericht
Es liegt im Wesen von Dokumenten, die 2000 Seiten dick sind, dass sie nur von wenigen sehr interessierten Menschen von vorne bis hinten gelesen werden. Wahrscheinlich muss man entweder auf einer einsamen Insel gestrandet und deshalb mit viel Zeit und zusätzlich mit der Fähigkeit des Schnelllesens ausgestattet sein, um eine solche Lektüre zu bewältigen. Es setzt also keine hellseherischen Fähigkeiten voraus, wenn ich vermute, dass die wenigsten der Leser dieses Buches den Bericht des
Weltagrarrates
gelesen haben, der im April 2008 von der Plenarsitzung des
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