FOOD CRASH
kennen, kommt diese Frage auch gleich am Anfang.
Wer dieses Buch bis hierher gelesen hat, wird feststellen, dass diese Frage noch nicht beantwortet ist. Vielleicht werden Sie aber auch feststellen, dass es eine einfache Antwort auf diese Frage nicht geben kann. Die Vorstellung greift zu kurz, man müsse nur die Anzahl der für Ackerbau zur Verfügung stehenden Hektare mit einem unter Ökolandbau-Bedingungen annehmbaren Weizen- oder Reisertrag multiplizieren, dann durch die Anzahl der heute und in 40 Jahren auf dem Erdenrund zu stopfenden Mäuler dividieren, um dann zu wissen, ob genügend Kalorien zur Verfügung stehen. Oder man müsse den heutigen Verbrauch an Nahrungsmitteln unter den Annahmen von Bevölkerungswachstum und Wohlstandsentwicklung hochrechnen, um zu sehen, was wir im Jahr 2050 auf den Tisch des Hauses legen müssen, wenn neun Milliarden Menschen unseren Planeten bevölkern, ein gewachsener Anteil von ihnen so konsumieren möchte, wie wir das heute in München, Tokio oder Seattle tun, und obendrein ein Anteil von x % der Autofahrer seine Limousine mit Biosprit antreibt. Dann hätte man eine Menge, die durch die Weltacker und -grünlandfläche zu teilen wäre. Der sich dann ergebende Hektarertrag wäre dann das, was wir schaffen müssen, und die Landbaumethode der Zukunft wäre dann die, die diesen Ertrag versprechen könnte.
Ganz offensichtlich setzen solche simplen Rechnungen Annahmen voraus, die so einfach nicht zu treffen sind. Denn was brauchen wir tatsächlich? Ist es, um nur eines der Beispiele aus dem dritten Kapitel aufzugreifen, tatsächlich erforderlich, dass wir 200 % erzeugen, um 100 % konsumieren zu können, weil wir das Menschenrecht, 50 % der Lebensmittel auf den Müll zu befördern, garantieren müssen? Und von welchen Lebensmitteln sprechen wir eigentlich? Von dem, was in unserer Fachsprache »Veredelungsprodukte« heißt – also Fleisch, bei dem durch die »Veredelung« von 7 kg Getreide und Sojabohnen 1 kg Nackensteak geworden ist? Sprechen wir nur von Reis und Weizen, oder auch von Kartoffeln und Yamswurzeln und der ganzen übrigen unglaublichen Vielfalt von Pflanzen, die nicht nur einen – zum Teil – höheren Kalorienertrag auf der Fläche erzielen, sondern durch ihre Vielfalt den erforderlichen Beitrag zur Gesundheit der Menschen leisten?
Die einfache Frage, wer auf welche Weise »die Welt ernähren kann«, ist in sich ebenso falsch wie der Begriff »Welternährung«, auch wenn ich ihn selbst immer wieder verwende, weil er so angenehm kurz und gut eingeführt ist. Aber gibt es tatsächlich jemand, der »die Welt« ernähren kann? Oder geht es nicht darum, dass allen Menschen, wo immer sie auf dieser Welt leben, das Recht verschafft werden muss, souverän über ihre eigene Ernährung zu bestimmen und diese so weit als irgend möglich selbst in der Hand zu behalten?
Ich weiß natürlich auch, dass es Länder gibt, die haben weder ausreichend fruchtbare Ackerflächen noch Wasser genug, um eine Eigenversorgung mit Grundnahrungsmitteln sicherstellen zu können. Dubai oder Ägypten zum Beispiel oder Singapur und Japan. Und nach der schrecklichen Zerstörung seiner Böden gehört auch Haiti zu diesen Ländern. Deshalb gibt es kein Entweder-oder. Vollkommen klar ist: Es braucht einen Welthandel mit Agrargütern, der mit Überschüssen in den einen Regionen Defizite in anderen Regionen ausgleicht. Und es braucht gleichzeitig ein Maximum an Souveränität der einzelnen Staaten und Regionen bis hinein in die Haushalte der auf dem Lande lebenden Ärmsten der Armen.
Gerade die Krisenjahre 2007 und 2008 (und erneut das Jahr 2011) sind Argumente gegen die bereits heute bestehende Abhängigkeit gerade der ärmsten Volkswirtschaften von globalen Handelsströmen. Kaum deutete sich durch die Überschwemmungen in Australien, die Flächenbrände in Russland und eine weltweit schlechtere Ernte im Sommer 2010 an, dass es zu einer Verknappung auf landwirtschaftlichen Rohstoffmärkten kommen könnte, sperrte eines der Hauptexportländer für Getreide, die Ukraine, seine Ausfuhr. Die Preise schnellten in die Höhe, die Spekulation an den Rohstoffbörsen trug das Ihre dazu bei. In einer Volkswirtschaft wie der unseren werden von so einer Entwicklung noch nicht einmal die Preisindizes merklich beeinflusst, denn der Anteil unseres Einkommens, der für Lebensmittel ausgegeben wird, liegt nur wenig über 10 %. Weil zudem der Anteil der Rohstoffkosten an unseren Lebensmitteln sehr gering
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