FOOD CRASH
ist – in einem Brötchen für 60 Cent stecken gerade einmal für 2 Cent Getreide –, wirkt sich der Anstieg der Rohstoffpreise kaum noch aus.
Ganz anders ist das für eine Familie in einem der Länder, die auf der Schattenseite der Weltökonomie leben. Für sie bildet der Lebensmitteleinkauf den größten Posten ihres privaten Haushaltes. Für sie bedeutet es den Unterschied zwischen satt werden oder hungern, ob die Preisausschläge der Rohstoffbörsen in Chicago oder Paris ungebremst auf sie durchschlagen oder ob die eigene Landwirtschaft in der Lage ist, eine Grundversorgung sicherzustellen.
Wir müssen deshalb, anstatt von
Welternährung
zu sprechen, von
Ernährungssouveränität
und von
globaler Ernährungssicherung
sprechen, um nicht in die »We feed the world«- Bilder zu geraten, mit denen die Agrarindustrie ihre Aufgaben – und ihre Geschäftsfelder – beschreibt.
Dies alles vorangeschickt, will ich die Frage umformulieren: Kann Bio Ernährungssouveränität eher garantieren als die konventionelle, industrielle Landwirtschaft? Die Antwort hierauf ist durch die Beispiele gegeben, die ich in diesem Kapitel beschrieben habe. Sie zeigen, dass das Konzept der Ökologischen Intensivierung geradezu die Voraussetzung für die Ernährungssouveränität derjenigen ist, die auf dieser Welt unter Unterernährung leiden. Dass damit einer gewaltigen Industrie, deren Kollateralschaden Unterernährung ist, gewissermaßen die Geschäftsgrundlage entzogen wird, zeigt, wo das eigentliche Problem liegt.
Zunächst bleibt aber die Frage, ob Bio produktiv genug ist, um eine globale Ernährungssicherung angesichts der steigenden Erdbevölkerung sicherzustellen. Es gibt eine Studie der Universität Michigan, die 2007 den Versuch unternommen hat, zu quantifizieren, wie viel Nahrungsmittel durch eine ökologische, mit geringem Input an Betriebsmitteln arbeitende, nachhaltige und kleinbäuerliche Landwirtschaft zur Verfügung gestellt werden könnten. [106] Dafür haben die Wissenschaftler des
Institute for Food and Development Policy
91 Studien ausgewertet, die 293 Fälle beschreiben, in denen Ökologischer und Konventioneller Landbau in Bezug auf den erzielbaren Ertrag verglichen wurden. Auch hier wurde unter »Ökologischer Landbau« nicht der zertifizierte Ökolandbau verstanden, sondern das, was wir oben mit Ökologischer Intensivierung beschrieben haben. Die Auswertung untersuchte auf diese Weise, welche Nahrungsmengen in zehn verschiedenen Kategorien von Grundnahrungsmitteln durch die Umstellung der Weltagrarfläche auf Ökologische Landwirtschaft erzeugt werden könnten.
Sie geht davon aus, dass es zwei verschiedene Ausgangspunkte für die Umstellung gibt, je nachdem, welche der beiden Formen von den Bauern derzeit praktiziert wird:
Einerseits von einer traditionellen Landwirtschaft kommend, die mangels Zugang oder Kaufkraft ohne Chemie arbeitet, aber die Prinzipien des Ökolandbaus nicht anwendet.
Andererseits von einer industriellen Landwirtschaft ausgehend, die alle Methoden einer »modernen« Landwirtschaft praktiziert, wie sie von der »Grünen Revolution« seit 40 Jahren gepusht werden, insbesondere den Einsatz von chemisch-synthetischen Dünge- und Pflanzenschutzmitteln und von gentechnisch verändertem Saatgut.
Das Ergebnis dieser Studie: Die Umstellung der globalen Nahrungsmittelerzeugung auf Ökologischen Landbau würde zu einer
Erhöhung
der Nahrungsmittelproduktion um 50 % auf 4381 Kilokalorien pro Person und Tag (bei einem Bedarf von 2200 bis 2500 kcal/Person/Tag je nach Geschlecht, Größe und körperlicher Arbeit für eine erwachsene Person) führen!
Es war zu erwarten, dass diese Studie angegriffen und in Frage gestellt werden würde. [107] Denn schließlich muss man in solchen Fällen immer Annahmen treffen, auf denen man Rechnungen aufbaut, und wer andere Annahmen zugrunde legt, kommt dann zu anderen Ergebnissen. Es ist aber unsinnig, wenn Kritiker den Wissenschaftlern aus Michigan vorhalten, sie müssten ein optimiertes Anbausystem der Ökologischen Intensivierung einem optimierten Anbausystem der konventionellen Landwirtschaft gegenüberstellen und nur daraus ließen sich gültige Schlussfolgerungen ableiten. Denn erstens gibt es solche optimierten Fälle für beide Systeme nicht – zu unterschiedlich sind dafür die Bedingungen in jeder Region dieser Erde. Und zweitens ist gerade die Herangehensweise die richtige, die von den real gegebenen Verhältnissen in der Welt ausgeht und
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