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Fool on the Hill

Fool on the Hill

Titel: Fool on the Hill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Ruff
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Starthilfekabel in Gang setzt, und prompt kommen die Einfälle nur so herausgesprudelt: schneller, als du überhaupt mitschreiben kannst. Ich weiß natürlich, wie seltsam das für dich klingen muß, aber es ist eine erwiesene Tatsache. Hemingway zog sich dreimal am Tag Usambaraveilchen rein, wenn er nicht gerade boxte.«
    »Das ist wirklich erstaunlich.«
    »Das ist Tatsache«, wiederholte George mit einem Pokerface. Er warf einen Seitenblick auf Aurora und erkannte an ihrer süffisanten Miene, daß sie ihm kein einziges Wort abnahm, doch seine Märchen schienen sie zu amüsieren, und das war genausogut.
    »Aber sag mal«, fuhr Cathy fort. »Dein letzter Roman, ›Der Ritter der weißen Rosen‹... ist der Titel vielleicht eine Anspielung auf...«
    George nickte. »Wirklich gut. Du hast mich durchschaut.«
    »Na ja«, lächelte Cathy und kam sich sehr scharfsinnig vor. »Das zeigt vermutlich bloß, wie begrenzt die Möglichkeiten der literarischen Textanalyse in Wirklichkeit sind. In einem Englischseminar hätte ich das nie im Leben herausgefunden.«
    »Das ist auch der Grund, weshalb ich keinem Anglistikprof traue«, verriet George. »Hast du das Buch gelesen?«
    »Den Ritter? Ja, den schon. Es ist jammerschade, daß meine Zimmergenossin nicht da ist. Sie sollte eigentlich mit uns zusammen essen, aber dann ist sie eingeladen worden... Sie kennt alle deine Romane und ist absolut begeistert davon!«
    »Und wie hat dir der eine gefallen?«
    »Mir... ? Ich... also, ich meine...« Sie druckste herum, als bemühte sie sich um eine höfliche Antwort.
    »Sie fand ihn toll«, sprang Aurora für sie ein. »Hat sie mir selbst gesagt. Ihr Dummsmore-Lappen war ganz aus dem Häuschen.«
    »Dinsmore«, verbesserte sie George.
    »Nein, nein«, verbesserte Aurora ihn. »Dummsmore. Das ist der Lappen der linken Hemisphäre, der die Geschichte goutiert. Das mußt du doch in Bio gelernt haben: Liegt genau südlich vom visuellen Kortex. Wenn man ihn hinlänglich mit guter Literatur stimuliert, fängt einem die Nase an zu wachsen.«
    »Ach ja«, sagte George. »Jetzt fällt’s mir wieder ein.«
    »Gefallen hat mir dein Roman schon«, warf Cathy ein, wobei sie die zwei verwirrt ansah. »Ich war bloß irgendwie... enttäuscht darüber, wie du mit einigen Gestalten verfahren bist.« »Zum Beispiel?« fragte George ernsthaft.
    »Na ja, Abt Rosewinkle etwa.«
    »Der Abt war doch ein prima Kerl! Ich dachte eigentlich, das hätte ich echt clever eingefädelt, wie er den Ritter vor den Zöllnern rettet.«
    »Da war aber diese Sache mit ihm und den Chorknaben, die...«
    George zuckte mit den Achseln. »Viele Äbte hatten was mit Chorknaben. Selbst ein Fantasy-Roman muß ab und zu gewisse Anleihen bei der Wirklichkeit machen.«
    Cathy Reinigen räusperte sich. »Es ist nicht, daß ich eine Verfechterin des moralistischen Konstruktivismus wäre«, sagte sie unter Verwendung eines Schlagworts aus einem lange zurückliegenden Erstsemesterseminar. »Und ich möchte ganz gewiß nicht deine Auffassung von Realismus in Frage stellen, indem ich etwa darauf beharrte, daß jede literarische Gestalt ihrer gerechten Strafe zugeführt werden soll; im wirklichen Leben kommen Verbrecher ja schließlich auch immer wieder ungeschoren davon. Es ist nur so, daß es für mein Empfinden zu einer wirklich guten Geschichte einfach dazugehört, daß der Autor - gleichgültig, was seinen Personen zu guter Letzt tatsächlich widerfährt - eine wirklich starke moralische Message rüberbringt. Verstehst du, was ich meine?«
    George nickte. »Das große Problem mit einer solchen Message ist«, sagte er, »daß du sie noch so holzhammermäßig bringen kannst, unübersehbar, in dreimeterhohen Buchstaben, und sie trotzdem nicht jeder Leser mitkriegt. Shakespeare war ein bärenstarker Geschichtenerzähler, und jetzt schau dir mal an, was aus Romeo und Julia geworden ist. So ziemlich jeder vergißt, daß das Stück als Tragödie gedacht war. Nun heißt Tragödie zwar, daß das Schicksal was gegen dich hat, aber in neun von zehn Fällen bist du es dann selbst, der die Chose endgültig versägt. Heutzutage nennen wir einen liebeskranken Mann einen ›Romeo‹; man müßte aber schon hirnkrank sein, um wirklich Romeo sein zu wollen. Er war schlicht ein Kindskopf; er tötet zwei Menschen im Affekt und ist direkt verantwortlich für den Tod eines dritten. In der letzten Szene bringt er sich aus Verzweiflung über den Tod einer Frau um, die nicht mal tot ist, und dann wacht sie auf

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