Fool on the Hill
euch beide gerade kennengelernt hatte, an dem Tag mit Ginny Porterhouse - also, hinterher hab ich an dich gedacht, nicht an Ragnarök.«
Prediger grinste. »A-ba ...«
»Nicht«, bremste ihn Jinsei, weil es klang, als wollte er es ins Lächerliche ziehen. »Bitte nicht. Ich weiß, daß er ein guter Freund ist, und ich möchte ihm genausowenig weh tun wie du. Wenn du also meinst, daß es eine schlechte Idee ist, dann gut. Aber tu es nicht so leichthin ab.«
»Schön.« Sein Grinsen war nicht mehr ganz so breit; Prediger schien über die Sache nachzudenken, aber seine Finger spielten mit ihrem Haar, zwirbelten Strähnen und glätteten sie wieder, lange, bevor er sprach. »Diskretion«, sagte er endlich. »Diskretion. Ich bin gar nicht schlecht, was das angeht. Wie steht’s mit dir?«
Sie beugte sich vor und küßte ihn flüchtig, versuchsweise. Sie hatte sich einen Großteil der Schminke schon vor einiger Zeit aus dem Gesicht gewischt, doch der noch verbleibende Anflug von Katzenhaftigkeit lud - tja - nicht gerade zu weiteren vernünftigen Erörterungen ein. Jinsei zog sich ein wenig zurück, und sie veränderten ihre Haltung: Predigers Hand rutschte von ihrem Haar liebkosend auf ihren Rücken, eine Hand von ihr kam höher und berührte sein Gesicht.
Während des zweiten, längeren Kusses bemerkten sie plötzlich, daß sie nicht allein waren. Ein griechischer Tragödiendichter mit einem wahrhaft dämonischen Sinn für Timing hätte die Szene nicht besser arrangieren können: Jinseis plötzliches Erstarren, als sie Ragnarök in der großen, bogenförmigen Tür stehen sah; der angemessen schuldbewußte Ausdruck von Bestürzung auf Predigers Gesicht, als er sich umdrehte und ihn ebenfalls sah; Ragnaröks gewohnt undurchdringliche Miene unter der schwarzen Brille, die seine Augen verbarg. Der Schwarze Ritter hielt Predigers Langmantel in der Hand, hielt ihn etwas von sich gestreckt, als reichte er eine Opfergabe dar, und einzig diese Hand, die sich um den Stoff krampfte, verriet, was in ihm vorging.
Allein die Tatsache, daß er auf den Beinen war, statt im Tolkien-Haus seinen Rausch auszuschlafen und aller Voraussicht nach erst in mehreren Stunden völlig verkatert aufzuwachen, war erstaunlich genug; daß er hergekommen war und sie ausgerechnet in diesem Augenblick gefunden hatte, grenzte allerdings ans Mirakulöse. Jinsei und Prediger waren erstarrt, sprachlos, erdrückt vom allzu deutlichen Bewußtsein der eigenen Hände am Körper des jeweils anderen. Auch Ragnarök rührte sich nicht, schwankte allerdings leicht hin und her. Der Kampf, den sein Organismus mit dem Alkohol ausfocht, war noch lange nicht ausgestanden. Er starrte sie an, und sie starrten zurück, und so verging mindestens eine volle Minute.
Dann knallte irgendwo eine Tür, und das lebende Bild war zerstört. Predigers Langmantel fiel zu Boden; Ragnaröks leere Faust öffnete und schloß sich zweimal. Dann entfernten sich seine Schritte im Korridor, und irgend etwas machte einen entsetzlichen Krach, als der bohemische Verteidigungsminister es, für die zwei Verliebten unsichtbar, umwarf. Der Knall, mit dem die Haustür unten - nicht ganz so fest, daß das Glas zerbrochen wäre - aufgestoßen wurde; das Quietschen, mit dem sie sich langsam wieder schloß. Das Aufheulen eines Motorrads, das sie irgendwie nicht hatten kommen hören,
Und dann war es still.
Eine lange Nacht
I
Der November, ein für jede Universität sehr arbeitsamer Monat verging wie im Flug. Die Schilderung der Ereignisse, die sich zwischen Allerheiligen und Thanksgiving zutrugen, würde ganze Bände füllen, doch eine kurze Inhaltsangabe mag genügen: George-und-Kalliopes Liebesgeschichte setzte sich fort, während Prediger-und-Jinseis erst richtig begann; Hobart-dem-Kobold machten ständige Alpträume über den Knochenacker zu schaffen, während Luther-der-Mischling mit der Verzweiflung rang; Blackjack aß gut und war überhaupt einer der zufriedensten Einwohner von Ithaca.
Ragnarök entwickelte sich zum rarsten Bohemier auf dem Hügel. Im Anschluß an das lebende Bild im Cowcliffes sprach er wochenlang kein Wort mit einem anderen Minister oder einer Grauen Vrouwe; er wurde einige wenige Male gesichtet - kurze Erscheinungen einer schwarzgekleideten Gestalt, die rasch im Studentengewühl zwischen zwei Lehrveranstaltungen verschwand, doch Kontakte fanden nicht statt. Löwenherz postierte Wachen vor verschiedenen Hörsälen, in denen eigentlich mit Ragnaröks Auftauchen
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