Fool on the Hill
und folgt seinem Beispiel. Der Doppelselbstmord ist der unverzeihliche Teil des Stücks: Er ist nicht rührend, er ist schlicht blöd. Die zwei haben die Hoffnung aufgegeben, und das bedeutet, daß es nicht mal eine Liebesgeschichte ist, es ist eine Pubertätsgeschichte.«
»Auch Erwachsene können verzweifeln«, gab Aurora zu bedenken.
»Niemals hoffnungslos«, beharrte George. »Reife Menschen machen Fehler, sind gelegentlich am Boden zerstört, scheitern, aber sie hören nie auf, nach der schwachen Stelle in der Mauer des Schicksals zu suchen. Selbstmord begehen sie nur, um ein anderes Leben zu retten; andernfalls ist es nur ein Sichverdrücken. Eine kindische Flucht.«
»Aber Romeo und Julia liebten sich doch so innig -«, fing Cathy an.
»Wenn das stimmte«, sagte George, »dann wären sie beide lebend aus der Gruft herausgekommen. Selbst wenn Julia wirklich gestorben wäre, hätte Romeo nicht endgültig daran zerbrechen dürfen. Mann, glaubst du vielleicht, Abt Rosewinkle hätte aus Schmerz über den Tod eines Chorknaben den Löffel abgegeben, wo’s doch so viele andere auf der Welt gibt?«
»Also bitte«, sagte Cathy Reinigen, die allmählich etwas verstimmt aussah, »das läßt sich ja doch wohl kaum miteinander vergleichen!«
»Na, und ob sich das vergleichen läßt«, beharrte George. »Das ist nämlich der andere Punkt, wo du völlig falsch liegst...«
Und so ging es noch ein paar Minuten hin und her, ohne daß dabei etwas herausgekommen wäre, bis Aurora schließlich das Gespräch taktvollerweise in andere Bahnen lenkte. War nicht weiter schlimm, das reichte auch schon; Mr. Sunshine mußte sie belauscht haben, denn was später am Abend geschah, sah stark nach höherer Fügung aus: Die niemals stillstehende Mauer des Schicksals schloß sich um George und Aurora, um sie wieder allein und unbeaufsichtigt zu lassen.
IV
Dichter Nebel - eine weitere Reminiszenz an Lothlorien, aber kalt und feucht, wie es sich für echten Novembernebel gehört -stieg kurz nach Einbruch der Dunkelheit den Hügel hinauf und hüllte ihn bald völlig ein. Kurze Zeit später traten drei Gestalten aus einer Tür ins Freie. Nach dem Dessert hatte Aurora zu Georges großer Überraschung vorgeschlagen, zusammen auf ein Bier in den Fiebertraum zu gehen. Zu seiner noch größeren Überraschung hatte Cathy Reinigen dem Plan begeistert zugestimmt und sogar angeboten, die Zeche zu zahlen.
Sie gingen über die Fall-Creek-Brücke und schlenderten über den Arts Quad, wo die Statuen von Ezra Cornell und Andrew White wie gewohnt Wache saßen und geduldig der Mitternacht und einer möglicherweise vorbeikommenden Jungfrau harrten, die ihnen die Gelegenheit geben würden, sich ein bißchen die Beine zu vertreten. Für George und die zwei Frauen war es ein paar Stunden zu früh, um die Probe aufs Exempel zu machen; dessenungeachtet winkte George Ezra einen Gruß zu.
Dann verließen sie den Quad zwischen der Uris- und der Olin-Bibliothek, die beide wegen der Feiertage nur schwach beleuchtet waren. Dort, im Schatten am Fuß des großen Glockenturms, standen zwei händchenhaltende Gestalten. Wie es das Schicksal so wollte, lichtete sich just in diesem Augenblick der Nebel ein wenig, und ein zufälliger Strahl Mondlicht enthüllte, daß es sich bei dem Pärchen um zwei Männer handelte.
»Das ist ja ekelhaft«, verkündete Cathy Reinigen, sobald sie außer Hörweite waren. Aurora mußte an den ersten und einzigen Besuch ihrer Mutter in Cornell denken; George, für gewöhnlich nicht eben diskussionsscheu, ließ den günstigen Augenblick verstreichen. Aber eigentlich doch nicht.
Als das Trio in die Nähe von Collegetown kam, begannen erstaunlich viele - größtenteils eifrig miteinander beschäftigte -gleichgeschlechtliche Paare aus dem Nebel aufzutauchen. Aurora nahm dies mit Interesse zur Kenntnis; George starrte sie unverhohlen an (er starrte immer alles unverhohlen an). Cathy Reinigen aber faßte dies als persönlichen Affront auf, als habe das Gesetz der Serie beschlossen, eigens um sie in Verlegenheit zu
bringen, eine moralische Spießrutengasse für sie auf die Beine zu stellen. Womit sie gar nicht so unrecht hatte.
»Vielleicht war das doch keine so gute Idee«, sagte Cathy, als sie beim Fiebertraum ankamen und zwei Frauen erspähten, die auf dem Vordersitz eines dort parkenden Kleinbusses knutschten. Es war das sechste lesbische Pärchen, an dem sie in weniger als zehn Minuten vorbeigekommen waren. George bewunderte die
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