Fool on the Hill
sogenannte »Totenblatt«. Nach Entwürfen eines Zebras konstruiert, das ein paar Architekturseminare besucht hatte, sah das in Wirklichkeit recht stabile Haus so aus, als ob es jeden Augenblick zusammenkrachen würde. Es war rund zweieinhalb Meter hoch und wurde, von einem extragroßen Pik-As gestützt, durch einen Miniatur-Konferenztisch gekrönt, an dem mehrere Puppen saßen: Cornells Vorstand, über Aktienkäufe abstimmend. Bis zum Hals hatten die Puppen menschliche Gestalt, ihre Köpfe aber waren durch Obst und Gemüse ersetzt worden. Ein Kohlkopf saß der Versammlung vor.
»cornells investitionspolitik« stand auf einem Pappschild, das am Kartenhaus lehnte. Weiter oben verkündete ein zwischen zwei Achten aufgehängtes Spruchband: »schluss damit!« Manche nickten oder schüttelten den Kopf und gingen weiter, aber die meisten Passanten fanden die Konstruktion doch so interessant, daß sie stehenblieben und neugierig der Dinge harrten, die da kommen würden. Als es schließlich halb zwölf war und Fantasy Rastamop ans Mikrophon trat, hatte sich eine in zwei Parteien gespaltene Menge von fast hundert Menschen angesammelt. Vom buntgemischten Angebot angetan, ließ die Anführerin der Zebras ihre Augen prüfend über die Versammlung wandern.
Sie hatte gerade den Mund geöffnet, als der Doktorand samt Wagen rumpelnd in Sicht kam: einen Blitzableiter in der Hand und den Schrei auf den Lippen, er würde es jetzt regnen lassen.
III
Um zehn vor zwölf hockte George wieder einmal zwischen den zwei Standbildern auf dem Arts Quad und baute einen Drachen zusammen, denselben Drachen, den er letzten August vor den Augen eines Bernhardiners zum erstenmal hatte steigen lassen. Der Hund war an diesem Morgen nirgends zu sehen; da aber jetzt Kalliope George über die Schulter blickte, hätte er ihn wohl ohnehin nicht bemerkt.
Sie waren zeitig aufgestanden, und Kalliope hatte beim Frühstück angekündigt, sie wolle heute sehen, wie George den Wind rief. Und so waren sie nach einem langen Spaziergang durch die Stadt (ein seltenes Ereignis für das in der Regel sehr häusliche Paar) auf den Hügel gestiegen. Kalliopes silberdurchwirktem Umhang war irgendwie eine Kapuze gewachsen, die ihr Gesicht teilweise verhüllte. Unterwegs hatte ein vorbeifahrender Radler allerdings zufällig einen flüchtigen Blick darunter geworfen; der Bursche hatte einen keuchenden Wehlaut ausgestoßen und war in einem scheppernden Gewirbel von Armen, Beinen und Speichen zu Boden gegangen.
»Wie gesagt«, erklärte ihr George und fügte die Stäbe kreuzweise aneinander. »Die Drachen, die Onkel Erasmus und ich damals hatten, waren nicht rautenförmig, sondern Kastendrachen, riesige rechtwinklige Gestelle, mit gebatiktem Stoff bespannt. Erasmus mochte die am liebsten, weil sie so aussahen, als könnten sie eigentlich überhaupt nicht fliegen...«
Und er bastelte und redete weiter, so sehr in die Schilderung jenes fernen Tages vertieft, daß er den Drachen zusammengebaut hatte, bevor er merkte, daß Kalliope nicht mehr an seiner Seite war. Erschrocken sah er sich um und rief nach ihr, bis sein Blick unwillkürlich an der südwestlichen Ecke des Quads hängenblieb, wo sich ein Auflauf gebildet hatte. Obwohl um diese Uhrzeit die Vorlesungen noch in vollem Gang waren, trieben sich erstaunlich viele, verängstigt aussehende Leute da draußen herum; sie tauchten auf dem asphaltierten Weg zwischen der Olin- und der Uris-Bibliothek auf, strömten auf den Quad und überquerten ihn, als wollten sie sich vor irgend etwas in Sicherheit bringen. Eine nicht minder beträchtliche - allerdings weniger ängstliche als neugierige - Gruppe bewegte sich in die entgegengesetzte Richtung, um festzustellen, was eigentlich los sei. Am Engpaß, wo die zwei Menschenmassen aufeinanderstießen, verschmolzen sie zu einem einzigen dichten Gedränge.
Kalliope stand am Rand des Staus. Sie wartete, bis George sie ausgemacht hatte, lächelte ihm zu, winkte und tauchte dann in der Masse unter.
»Hallo«, sagte George. »Hallo.«
Er ließ den Drachen fallen und rannte ihr nach, wobei er trotz aller Hast noch einzelne Worte und Gesprächsfetzen von den vorbeiströmenden Flüchtlingen aufschnappte. Wiederholt hörte er für Bruchteile von Sekunden, wie ein Mann in Zeta-Psi-Blazer einem Bundesbruder versicherte: »... is doch gar nicht drin, völlig unmöglich, keine Angst... gar nicht drin...«
Und er stürzte sich ins Gedränge, rief nach ihr, während andere um ihn herum
Weitere Kostenlose Bücher