Fool on the Hill
vorzukommen, als er seinen Cowboyhut zurechtrückte. »Wo kommst du her, Fremder? Von Haus aus, meine ich.«
Schwungvoll blähte der Doktorand seine Regenjacke und fuchtelte mit der Spitze des Blitzableiters drohend vor Georges Gesicht herum... doch er gab immerhin eine Antwort.
»Chicago«, sagte er. Ferkel und Tigger guckten vom Wagen aus zu. »Illinois.«
Die Digitaluhr schaltete von 00:18:32 auf 00:18:31. Und die Turmuhr begann zu läuten.
Zwölf Uhr mittags.
V
Löwenherz stellte sein Opernglas schärfer; er verfolgte das Schauspiel mit großem Interesse. »Was zum Teufel hast du vor, George?«
»Zehn Eier, daß es spannend wird«, bot der Top an.
»Wie heißt du?« fragte George den Doktoranden. Der blähte erneut seine Regenjacke.
»Christoph Robin«, sagte er.
George nickte und deutete auf die Stofftiere. »Wo ist Pu?«
»Pu ist zu Hause im Bett«, antwortete Christoph Robin, der allmählich etwas ungeduldig klang. »Er hat einen Kavaliersschnupfen.«
»Klar doch. Und was ist das für ein Ding, das du da hast?«
Jetzt klang er schon etwas weniger unwirsch: »Das ist ein Blitzableiter.« Er rüttelte am Ranzen. »Ich verkaufe Blitzableiter.«
»O Jee-sus«, schrie der Polizeipsychologe. »Er hat Bradbury gelesen! Ich hasse es, wenn sie Bradbury gelesen haben!« Der Polizeichef warf ihm einen kurzen Blick zu.
»Und wie heißt du?« fragte Christoph Robin George und stach mit dem Blitzableiter nach ihm. »Ha?«
George lächelte, von einer plötzlichen Eingebung beflügelt. »Was, wenn ich dir sagen würde, daß ich A. A. Milne bin? Da du Christoph Robin bist, müßtest du alles tun, was ich sage. Ich hätte dich ja dann geschrieben.«
»Nein, du hast mich nicht geschrieben.« Die Vorstellung schien ihn zu beunruhigen.
»Bist du dir da sicher? Würdest du alles dafür verwetten, was du besitzt... Christoph?« »Ich mag dich nicht«, warnte ihn Christoph Robin. »Und du bist auch kein Cowboy.«
»Völlig richtig. Vielleicht bist du aber auch nicht Christoph Robin.«
»He, sieh dich vor!« Es klang wütend, aber auch ängstlich. Diesmal war es die Fernsteuerung, mit der er drohend herumfuchtelte. »Keine Spielchen, Kumpel, ich bin atomar!«
»Klar«, sagte George. »Und du läßt es regnen, okay.«
Im stillen dachte er: Ich mach Konversation, ich mach tatsächlich mit einem möglicherweise gemeingefährlichen Menschen Konversation. Und es macht mir auch noch Spaß. Vielleicht bin ich genauso verrückt wie er.
Aber er hatte nicht das Gefühl, verrückt zu sein, hatte auch keine Angst; das einzige, was er fühlte, war nach wie vor Kalliopes Kuß, eine merkwürdige Leichtigkeit im Kopf und ein starkes Bewußtsein von Macht. Wie damals als Junge, am Tag der Kastendrachen; nicht ganz so stark wie die Macht, die er über eine geschriebene Geschichte besaß, aber nicht weit davon entfernt -und von Sekunde zu Sekunde näher dran.
Kalliope, die ihn küßte.
Die Schaltuhr, die tickte: 00:15:09.
Da gibt’s Ärger. Bring die Sache in Ordnung.
»Ich werd dir sagen, was ich bin«, fuhr George fort. Er hatte aus den Augenwinkeln das Kartenhaus erspäht und ließ sich jetzt die vielfältigen Möglichkeiten, die es bot, durch den Kopf gehen. »Ich, Christoph, bin ein professioneller Drachensteigenlasser. Ja, so ist es. Und wenn du dich nicht abregst und augenblicklich brav bist, dann - na ja, dann werd ich eben meinen Drachen hier steigen lassen müssen.«
»Nein.« Eine Spur echter Angst.
»Doch.«
»Kannst du nicht.«
»Kann ich doch.«
»Es ist überhaupt kein Wind.« Und fuchtelte, fuchtelte mit dem Blitzableiter. »Du kannst keinen Drachen ohne Wind steigen lassen, das ist ein Gesetz!«
George blinzelte schräg nach oben. Den Drachen in der einen und die Rolle Garn in der anderen Hand, drehte er sich auf der Stelle. Einmal.
»Der Drachen wird fliegen«, versprach er. »Wenn du es regnen lassen kannst, kann ich es winden lassen. Das ist nur recht und billig.« Er drehte sich ein weiteres Mal um sich selbst.
»Ich hoffe nur, jemand nimmt das Ganze auf Video auf«, sagte Löwenherz.
»Laß das sein!« Christoph Robins Daumen schwebte wie ein Geier über dem roten Knopf der Fernbedienung. »Wag es ja nicht, den Drachen steigen zu lassen!«
»Und? Was wäre dann?« Doubleday schüttelte den Kopf. »Könnten wir vielleicht bitte etwas unternehmen, Chef?«
Und George drehte sich zum drittenmal auf der Stelle. »Leg das Ding hin«, sagte er.
»Uuuuuuuh, ich lass es regnen, regnen, regnen
Weitere Kostenlose Bücher