Fool on the Hill
Stadt.
George in der Hölle
I
»Nein, nein, wem!«
George bahnte sich einen Weg durch die Menschenmenge, und der Wind ließ nach, ließ nach. Luther kam bellend angerannt und sprang an seinen Beinen hoch; zuerst beachtete ihn George nicht.
Wie hatte sie ihm das Pfeifchen bloß wieder abnehmen können? Doch nein, das war selbst für einen Narren eine idiotische Frage. Die eigentliche Frage war: Konnte er sie noch einholen? Nicht, daß er geglaubt hätte, sie zum Bleiben überreden zu können, da sie nun einmal beschlossen hatte, es sei jetzt Zeit zu gehen; aber wenn er es geschafft hätte, sie einzuholen, wer weiß, dann hätte er vielleicht noch irgendwie einen anständigen Abschied hingekriegt.
Also richtete George zuletzt seine Aufmerksamkeit doch auf den Hund und versuchte, ihn zur Mithilfe zu gewinnen. »Ich muß unbedingt jemanden aufspüren«, erklärte er ihm. »Eine Frau. Eine schöne Frau. Noch vor ein paar Augenblicken war sie da oben beim Turm. Verstehst du?«
Um der Wahrheit die Ehre zu geben, verstand Luther ganz und gar nicht, er begriff allerdings gefühlsmäßig, daß George etwas von ihm wollte und daß er sich nach diesem Etwas schier verzehrte. Vom Windwunder buchstäblich überwältigt, hätte sich Luther nur allzugern nützlich gemacht, war sich indes nicht sicher, was genau von ihm erwartet wurde. Er sah, mit welch verzweifeltem Nachdruck George in Richtung Glockenturm gestikulierte, und schloß daraus, der Mann wünsche, daß er da langgehe.
»Braver Hund!« rief George, als der Mischling davonschoß, und heftete sich an seine Fersen. Er konnte nicht wissen, daß der Versuch, Kalliope aufzuspüren, von vornherein zum Scheitern verurteilt war; denn ob die Dame eine Witterung aussandte oder nicht, hing - wie die meisten anderen Dinge auch - allein von ihrer Entscheidung ab. Tatsächlich wurden genau in diesem Augenblick die letzten Spuren ihrer Anwesenheit getilgt: Zu Hause vergaß das Bett gerade die zusätzliche Belastung der letzten paar! Monate und gewann einen Teil seiner Elastizität wieder; der Badezimmerspiegel verlor jegliche Erinnerung an das vollendete Abbild der Dame; Wände und Zimmerdecken wußten nichts mehr vom Widerhall ihres Lachens, Fußböden und Teppiche nichts mehr von der Berührung ihrer zarten Füße. Ihr Aufenthalt war, mit einem Wort, ausgelöscht.
Ohne etwas davon zu ahnen, hetzte George den Hund bis zur Stelle, wo Kalliope zuletzt gestanden hatte (wobei er immer wieder mit Beifall und ehrfürchtigen Blicken bedacht wurde), und Luther, der gelegentlich hinter sich blickte und die hoffnungsvolle Entschlossenheit auf dem Gesicht des Mannes sah, lief, mehr oder weniger ziellos, weiter. So rannten sie fast eine halbe Stunde lang (der Schneefall setzte nach ungefähr fünfzehn Minuten ein), bis Luther irgendwo in der Nähe des Instituts für Veterinärmedizin ausgerechnet über einen verlassenen Suppenknochen stolperte. Liebevoll bot er George seinen Fund an.
»WAS?!« schrie der Geschichtenerzähler, dem plötzlich seine Narrheit aufging. »Du hast mich zu einem Knochen geführt? Glaubst du denn, ich habe Hunger?«
Die Gehässigkeit dieser Reaktion schmerzte Luther sehr, doch sein Kummer war in keiner Weise dem Schmerz vergleichbar, der nun in George aufwallte. Die Ungeheuerlichkeit seines Verlustes traf ihn wie ein Hammerschlag: Er fiel erst auf die Knie, dann auf die kalte Erde. Luther verstand zwar immer noch nichts, wollte aber helfen, und so näherte er sich George und leckte ihn am Ohr. Was indes nicht im geringsten dazu beitrug, das Hämmern in des Geschichtenerzählers Schläfen zu lindern.
Wenn meine Aufgabe erledigt ist, dann gehe ich, ohne Vorwarnung, und dann wirst du dir den Tod wünschen...
Und so war es auch; genau so war es. In diesem Augenblick größter Schwäche übertrat George sein eigenes Gesetz und verzweifelte - wenn ihm auch (wie Kalliope gleichfalls vorhergesagt hatte) nicht gestattet werden würde, sich vollkommen aufzugeben.
Er ging nach Hause zurück (den Hund, der ihm folgen wollte, mußte er wiederholt anschnauzen) und zerschlug einen Großteil der Einrichtung. Es war kein Akt blinder Zerstörungswut: George konnte Kalliopes Abwesenheit förmlich spüren, und er bestrafte Stühle, Tische und andere Möbelstücke für ihre Komplizenschaft. Die Zertrümmerung des Badezimmerspiegels kostete er genüßlich aus, doch das Bett rührte er nicht an, da er mit einigem Recht vermutete, daß er die folgende Nacht auch ohne
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