Fool on the Hill
verlor.
»Schon mal Fariña gelesen?«
»Fariña?«
»Richard Fariña. War Ende der fünfziger Jahre in Cornell und hat mit einem Typ von der ›Sun‹, Kirkpatrick Sale, echt ‘n paar tolle Shows abgezogen. Die beiden hätten erstklassige Bohemier abgegeben. Nach seinem Abschluß hat er die Schwester von Joan Baez geheiratet und einen irren Roman über das Collegeleben und Shows-abziehen-im-allgemeinen geschrieben. Zwei Tage ach Erscheinen des Buches ist er bei einem Motorradunfall ums Leben gekommen.«
»Perfektes Timing.«
»Aber wirklich. Müßte mir mal passieren. Na, wie dem auch sei, der Held des Romans ist ein ziemlich fariñamäßiger Typ namens Gnossos Popoudopolos, und Gnossos vertrat die These, daß Jungfräulichkeit eine geistige Angelegenheit sei... «
»Ist das so was wie deine Theorie vom Seelenadel des Schwulen?«
»He Mann, Fariña wußte, wovon er sprach! Die Idee ist nämlich die, daß du dich durch die gesamte männliche und weibliche Bevölkerung der Vereinigten Staaten von Amerika durchvögeln und trotzdem Jungfrau bleiben kannst. Das Häutchen reißt erst, wenn du es aus Liebe machst.«
»Aber du hast es doch aus Liebe gemacht, oder?« fragte Aurora. »Mit Kalliope?«
»Das stimmt.«
»Und ich hab überhaupt noch nie mit jemand gevögelt.«
»Das stimmt.«
»Was, bitte, hat also Fari ñ as Theorie mit unserem besonderen Fall zu tun?«
»Nichts«, sagte George und nahm einen tiefen Schluck »Leidenschaft des Heiligen«. »Aber es bringt Unglück, wenn man die Gelegenheit, mit seinen literarischen Kenntnissen zu prunken, ungenutzt verstreichen läßt. Außerdem ist es ein verdammt gutes Buch.«
»Sicher doch«, sagte Aurora. »Jetzt trink aus und bring mir bei, wie ich dich verführen kann.«
IV
»Ich weiß nicht, ob’s eine so gute Idee ist, durch den Knochenacker zu gehen.« Es war Jinseis Einfall gewesen, sich demonstrativ nicht um den Schnee zu scheren und den kürzesten Weg zum Gipfel des Hügels zu nehmen, aber jetzt, am unteren Eingang zum Knochenacker, wollte sie kneifen. »Schau, hier ist noch nicht geräumt«, gab sie zu bedenken. »Und ich wette, man sackt ganz schön tief ein.«
»Wenigstens brauchen wir nicht ständig den Autos auszuweichen«, entgegnete Prediger. Sie hatten auf der Fahrbahn gehen müssen, weil der Schneepflug, der über die University Avenue gefahren war, den einzigen Bürgersteig versehentlich in eine unbegehbare Alpenlandschaft verwandelt hatte.
»Wir werden nasse Füße kriegen«, gab Jinsei zurück.
»Egal. Schau doch, Jin, der Schnee ist absolut unberührt. Hast du keine Lust, der erste Mensch zu sein, der ihn betritt?«
»Ich weiß nicht...«
»Fürchtest du dich vor dem, was darunter liegt?«
Sie zuckte mit den Achseln. »Vielleicht ein bißchen. Du nicht?«
»Wüßt nicht, warum. Eine Leiche ist wie ne Wachsfigur, Lady. Da könnt man genausogut vor ner Vogelscheuche Angst haben oder ner Schaufensterpuppe.«
Das schien sie nicht allzusehr zu beruhigen; mit einem liebevollen Lächeln nahm Prediger sie bei der Hand und ging einen Schritt auf das Friedhofstor zu.
»Na, komm schon, Jin«, sagte er. »Ich verrat dir noch ein Geheimnis: Solang du auf eigenen Beinen reinläufst, hast du nichts zu befürchten. Wenn die sechs Typen anheuern, um dich reinzutragen, dann kannst du anfangen, dir Sorgen zu machen.«
Er zog sie sanft am Arm, und sie gab schließlich nach und folgte ihm über die Schwelle. Direkt hinter dem Tor ragten mehrere schneebedeckte Mausoleen aus der Flanke des Hügels - eine Wohnsiedlung für die Toten. Bei diesem Anblick nahmen Jinseis Ängste noch beträchtlich zu - obwohl es nicht die Toten waren, vor denen sie sich hätte fürchten sollen. Im Gegenteil.
Kleine Wolken von Pulverschnee aufwirbelnd, bogen sie bei der ersten Gelegenheit links ein und steuerten ahnungslos auf das Nordende des Ackers zu.
V
George öffnete den letzten Knopf von Auroras Bluse und streifte sie ihr über die warmen, bleichen Schultern zurück. Der Gedanke ging ihm durch den Kopf, daß das eigentlich ein merkwürdiges Wort war, bleich: Es konnte je nach Zusammenhang sowohl einen negativen wie einen positiven Klang haben, konnte vom Tod bis zur Stirn einer mittelalterlichen Prinzessin die verschiedensten Dinge beschreiben.
Ach ja, Literat bis zuletzt. Er beugte den Kopf und begann, ihre Brüste zu küssen. Die Zeit entfernte sich für ein Weilchen, wie eine taktvolle Ausblendung in einem züchtigen Liebesroman; als sie
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