Fool on the Hill
Unstern verfolgtes Liebespaar‹«, sagte sie und drückte seine Hand. »Das klingt schön, findest du nicht?«
III
Der Heuboden war hoch oben unter dem Scheunendach, und die Leiter, die zu ihm hinaufführte, so altersschwach, daß man schon froh war, wenn man mit heilen Knochen oben ankam, auch wenn es dann herzlich wenig zu sehen gab. Die letzten Heuballen waren vor langer Zeit weggeholt worden, und alles, was sich jetzt noch auf der hölzernen Bühne befand, waren ein paar rostige landwirtschaftliche Werkzeuge, hier und da ein bißchen Spreu sowie zwei karierte Steppdecken, die zwar ein wenig schimmelig rochen, aber gute Sitzpolster abgaben. Es war überraschend warm auf dem Heuboden; ein Luftzug pfiff in den Sparren, doch er störte sie nicht weiter.
»Und was jetzt?« fragte George, als sie es sich gemütlich gemacht hatten. »Sollen wir die Aussicht bewundern?«
»Die Aussicht ist atemberaubend«, sagte Aurora ernsthaft, wobei sie auf den fernen Scheunenboden hinunterblickte, »aber ich hatte eigentlich an etwas anderes gedacht.«
Sie hob eine lose Planke im Boden an und zauberte zu Georges Verwunderung aus dem Hohlraum darunter eine Flasche Rotwein und zwei Kristallkelche hervor.
»Wie kommt denn das hier rauf?« fragte George verblüfft. »Hast du dich mitten in der Nacht hierhergeschlichen, oder
was?«
»Nein, du Dummerchen«, lachte Aurora und wischte die Kelchgläser am Ärmel sauber. »Die Sachen liegen hier seit meinem zwölften Lebensjahr.«
»Seit deinem zwölften Lebensjahr?«
»M-hm. Das war mein Versteck, als ich klein war. Die anderen Kinder machten einen großen Bogen um die Scheune, weil da angeblich Ungeheuer drin waren, aber ich hab unheimlich gern hier gespielt. Der Heuboden ist eine prima Empore für eine Prinzessin, die zu ihren treuen Untertanen sprechen will.«
George nickte lächelnd. »Aber was ist mit dem Wein und den Gläsern? Wo hast du die überhaupt her?«
»Ein Mann hat sie mir gegeben.«
»Was für ein Mann?«
Aurora zuckte mit den Achseln. »Ich weiß auch nicht. Ein Fremder, der eines Tages draußen auf dem Feld stand. Sah irgendwie südländisch aus, spanisch oder vielleicht auch griechisch. Freundliche Augen. Vielleicht hätte ich mich vor ihm fürchten sollen, aber ich tat’s nicht. Er sagte, er hätte ein Geschenk für mich, etwas, das ich aufbewahren sollte, bis der richtige Zeitpunkt gekommen wäre.« Sie reichte George den Wein und einen silbernen Korkenzieher. »Hier, spiel du den Gastgeber.«
George betrachtete die Flasche.
»Interessantes Etikett«, sagte er. »Leidenschaft des Heiligem...«
»›Dr. Faustus’ Weingut‹«, sprach Aurora für ihn zu Ende. »›Jahrgang 1849‹.«
»Klingt wie ein Witz«, entschied George. »Und er kann unmöglich so alt sein. Ich wette, das ist bloß Traubensaft mit einem Schuß Kodein drin. Der Fremde war vermutlich ein Pusher, der dich süchtig machen wollte.«
»Ich hab schon mal Kodein genommen«, sagte sie. »Als ich Mittelohrentzündung hatte. So schlimm ist das auch wieder nicht.«
»Könnte aber genausogut vergiftet sein.«
Sie schüttelte den Kopf. »Er ist nicht vergiftet.«
»Wie kannst du das wissen?«
»Genauso, wie ich weiß, daß jetzt der richtige Zeitpunkt gekommen ist, ihn aufzumachen. Ich weiß es halt.«
Mit einem Kopfnicken hörte George auf, Einwände zu machen, erbrach das Siegel und drehte den Korkenzieher hinein. Der Korken kam erfreulich leicht heraus; der Wein gluckerte freundlich, als er ihn einschenkte.
»Erzähl mir von den Ungeheuern«, sagte George, nachdem sie angestoßen hatten.
»Hm?«
»Die Ungeheuer, die es angeblich in der Scheune gab, als du klein warst.«
»Ach, die.« Achselzucken. »Hundsgewöhnliche Geister, nehm ich an... keine Ahnung, wer sie zu Lebzeiten waren. Ich hab’s vermutlich einfach nicht geschafft, mich vor etwas zu fürchten, das tot und begraben war. Außerdem war es wirklich toll, einen Ort für mich allein zu haben, wo niemand mich störte.«
»Toll«, pflichtete George ihr bei, und seine Zunge war bereits schwer, obwohl er sein Glas noch nicht einmal zur Hälfte ausgetrunken hatte. Starkes Tröpfchen.
»Ich bin nämlich noch Jungfrau«, sagte Aurora als nächstes, und der Wein mußte ihm etwas zu Kopf gestiegen sein, denn der plötzliche Themenwechsel hatte (anders, als es normalerweise der Fall gewesen wäre) nicht zur Folge, daß er sich verschluckte, das Glas fallen ließ oder sonstwie die Kontrolle über seine Körperfunktionen
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