Fool on the Hill
sicheren Versteck, mit starrem Antlitz und halb in Trance; er sah durch die Augen des Boten, der gerade die Fall-Creek-Schlucht überflog und sich Risley näherte.
Es war eine schicksalhafte Nacht. Heute nacht würde Rasferret endlich seinen Gegner sehen, den Menschen, den er besiegen mußte, wenn er seine wiedergewonnene Macht behalten wollte. Der Bote wußte, wohin er sich zu begeben und wann genau er dort anzukommen hatte; indem er selbst sah, würde er Rasferret zeigen, was dieser sehen wollte. Jetzt wuchs das große Ziegelgebäude, das einem Schloß ähnelte, mehr und mehr in des Boten Augen, und eine plötzliche Furcht bemächtigte sich Rasferrets, denn in seinem Herzen war er nach wie vor ein Feigling. Wie mochte sein Feind aussehen? Ob er ein Riese war, sogar nach den Maßstäben des ohnehin gigantischen Großen Volkes? Oder etwas in subtilerer Weise Furchterregendes? In der kurzen Zeit, die ihr verblieb, tobte sich die Phantasie des Engerlings gehörig aus.
Dann landete der Bote auf dem Sims eines der hohen Fenster des Speisesaals. Er ließ seinen Blick über den Raum gleiten, und Rasferrets Angst verdreifachte sich, als er die Bohemier gewahrte, von denen einige ohne weiteres hätten Hexenmeister sein können. Doch als der Vogel seine Augen schließlich auf George heftete, schwand alle Furcht.
Der Engerling war nicht eben beeindruckt. Verglichen mit einigen anderen im Saal, wirkte dieser Mensch ausgesprochen harmlos. Er schien jedenfalls nicht über magische Kräfte zu verfügen. Und auch rein körperlich sah George keineswegs imponierend aus; ein Riese war er gewiß nicht.
Er ist schwach, sagte der Engerling zu sich selbst. Ja, schwach.
Gleichzeitig mit dieser Erkenntnis kam ihm eine Idee - ein Gedanke, der sowohl der günstigen Gelegenheit als auch seiner unverminderten Feigheit entsprang. Wie er allein in der Mitte des Saales stand, sah George - vor allem vom erhöhten Standpunkt des Boten aus betrachtet- durch und durch verwundbar aus; und so kam Rasferret der Einfall, er könnte sich eine Menge Arbeit (und vielleicht auch Risiken für seine persönliche Sicherheit) ersparen, wenn er die Sache gleich jetzt zu Ende brachte.
Aus der Geborgenheit und Sicherheit seines fernen Verstecks sandte der Engerling einen telepathischen Befehl aus: Töte ihn.
»Was?!« rief Mr. Sunshine an seinem Schreibtisch, und der Bote hielt zaudernd inne. »Was soll das heißen? Nicht vor den Iden des März, so war es abgemacht, vor den Iden rührst du ihn nicht an!«
Und der Bote versuchte, Rasferret zu warnen: Noch nicht, noch nicht.
Töte ihn, wiederholte der Engerling, bereits von seiner Vorstellung besessen, wie die Tat auszuführen sei. Der Bote zögerte noch immer, und Mr. Sunshine hätte Rasferrets Entschluß genauso leicht ändern können, wie ein sterblicher Schriftsteller einen Satz umschreibt, doch dieser Fall von Meuterei trieb ihn zur Weißglut.
»Du anmaßender kleiner Mistkerl!« sagte er. »Ich buddel dich aus, schenke dir magische Kräfte, lass dir völlig freie Hand außer in dieser einen Sache... Ich sollte dir einen Satz Eselsohren verpassen, aber das würde wahrscheinlich nur auf eine Verschönerung hinauslaufen. Aber gut, schön, jetzt weiß ich, was ich tue...« TÖTE IHN, beharrte der Engerling ungeduldig, allzu ungeduldig. Und plötzlich zauderte der Bote nicht mehr, richtete sich auf und stürzte sich in einem Geklirr von zersplitterndem Glas durch das Fenster.
V
George hatte sie in seinen Bann geschlagen.
Mochte der Geschichtenerzähler von draußen absolut unmagisch wirken, auf seine Zuhörer im Saal machte er einen ganz anderen Eindruck. Ob von Natur aus oder unterstützt durch seine gegenwärtige Gemütslage war schwer zu sagen, sein Vortrag und sein Tonfall waren jedenfalls vollkommen, absolut mitreißend. Doch das wirklich Fesselnde war die Erzählung selbst: Inhaltlich genau auf den Anlaß zugeschnitten, gekonnt ausgearbeitet, ließ sie wie jede gute Geschichte die Anwesenden vergessen, daß sie überhaupt einer Geschichte zuhörten. Statt dessen hörten sie das Rauschen von Wind und Wasser und das Knallen von Segeln, die George ihnen beschrieb.
»Spreche ich von schwellenden Wogen«, deklamierte der Geschichtenerzähler, »so könnt ihr mich eigentlich nicht verstehen, denn wir, die wir unser Leben auf dem Festland verbringen, denken nur an das Ende der Wellen, ein Zerschellen von weißer Gischt an der Küste oder am Bug eines großen Schiffes. Doch für den Fischer, der
Weitere Kostenlose Bücher