Fool on the Hill
sein, dafür zu sorgen, daß - bei größtmöglichem Volumen - Aufhängung und Gleichgewicht stimmen. Man beeindruckt die Leute, Tchikovsky, indem man die Grenze, an der andere elend scheiterten, überschreitet und dabei obsiegt.«
»Okay, ich versteh, was du meinst. An was hattest du sonst noch gedacht?«
»Flügel«, sagte Verna und breitete die Arme aus. »Gewaltige grüne Schwingen, die nicht bloß so rumhängen, sondern sich wirklich bewegen.«
»Nein, Flügel sind keine gute Idee. In Flügeln fängt sich der Wind, der bringt die ganze Konstruktion ins Wanken, und schon hast du ein zusätzliches Gleichgewichtsproblem.«
»Du wirst damit fertig werden, Tchikovsky.«
»Ich werde damit fertig werden. Klar.«
»Noch eins, das Wichtigste überhaupt: Unser Drache wird Feuer spucken.«
Tchikovsky ließ seine Brille fallen: »Feuer?«
»Feuer?« wiederholte Harp und zog tatsächlich seine Hand weg. »Moment mal, sollte die Sache mit dem Feuer nicht erst ganz zum Schluß kommen, wenn das Vieh angesteckt wird?«
»Das wird absolut irre«, sagte Verna. »Der Drache rollt über die East Avenue auf den Engineering Quad zu, Ingenieure säumen die Straße, um ihn mit Schnee- und Matschbällen zu beschmeißen, und plötzlich: Fummm!«
»Ich glaube, Fummm! verstößt gegen die Campusordnung«, gab Harp zu bedenken. »Nicht zu vergessen die Gesetze der Machbarkeit«, fügte Tchikovsky hinzu. »Du sprichst von einer Konstruktion aus Holz Leinwand und Pappmache. Wie soll die Feuer spucken, ohne sich selbst in Brand zu stecken?«
Verna von Grautsch zuckte mit den Achseln. »Meine Herren« sagte sie »ich habe nicht die leiseste Ahnung. Aber wir haben bis’ Mitte März Zeit, um das Problem zu lösen... richtig?«
Harp nickte, offenbar ein wenig nervös. Nach kurzem Zögern tat Tchikovsky es ihm nach.
Zu guter Letzt lösten sie das Problem wahrhaft meisterlich.
Bohemisches Requiem
I
Predigers Leichnam wurde zur Beisetzung nach Brooklyn geflogen. Von den Bohemiern wohnten nur Löwenherz, Myoko und Ragnarök der Beerdigung bei. Man hatte sie im Chalet am See angerufen, und sie waren (die zwei Männer steif und unglücklich in ihren Anzügen vom Kostümverleih) zusammen herübergekommen. Nach der Zeremonie sprach Ragnarök Predigers Eltern, die ihm nach seinem Exodus aus dem Süden ein neues Zuhause gegeben hatten, sein Beileid aus. Aber es gab wenig, was er sagen konnte, und die ganze Zeit über verfolgte ihn die undeutliche Erinnerung an einen Traum: blaue Funken, die vor einem schwarzen Hintergrund glühten.
Der Grabstein war auf eine gespenstische Weise passend, auch wenn niemand unter den Anwesenden es wissen konnte. Anstatt einen riesigen, extravaganten Monolithen zu kaufen, hatte sich Predigers Vater in diesem einen Fall für Schlichtheit, fast Bescheidenheit entschieden. Der Stein lag flach auf der Erde und trug nur Namen, Geburtsdatum, Todesdatum und eine kurze Grabinschrift (»Hier bette ich mich zur ewigen Ruhe«). Die Tafel war viereckig, ohne jede Verzierung und aus weißem Marmor.
Ragnarök, der zusah, wie die Leute vom Bestattungsinstitut die Steinplatte zum Grab trugen, schenkte der Farbe nicht allzuviel Beachtung.
II
George und Aurora bekamen die Nachricht fünf Tage vor ihrer geplanten Abfahrt aus Wisconsin; Löwenherz hatte nach einigem Herumfragen die Telefonnummer der Smiths herausgefunden und rief aus SoHo an. Er erzählte ihnen alles, was er von den Ereignissen der Silvesternacht wußte (was nicht viel war), und richtete dann im Namen der Bohemia eine formelle Bitte an George: Er hoffte, der Geschichtenerzähler würde zu Predigers Totenwache kommen, die am 22. gehalten werden sollte, und etwas vorlesen.
Nun setzt eine Totenwache normalerweise die Anwesenheit des Leichnams voraus, und sie findet vor, nicht nach dem Begräbnis statt; doch daß die Bohemier, besonders, da es sich um einen Freund handelte, gegen die Tradition verstoßen würden, stellte keine besondere Überraschung dar. George sagte seine Teilnahme zu und versprach, er würde sich so bald wie möglich daran machen, eine Geschichte für den Anlaß zu schreiben.
Damit fand eine Zeit, die für Aurora und George als die schönsten Weihnachtsferien ihres Lebens begonnen hatte, ein jähes Ende. Schon mit Luthers Verschwinden war die Wende eingetreten. Sie hatten tagelang gesucht, aber - mochte er nun irgendwo an einer einsamen Stelle überfahren worden oder einfach weggelaufen sein - keinerlei Spur von ihm
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