Fool on the Hill
Stiefel wieder angezogen hatte, hinkte er um zwei Minuten hinter seinem Zeitplan her.
Eine Kleinigkeit, könnte man denken - und hätte damit auch vollkommen recht. Doch später, während der Aufräumarbeiten, kehrten Wachtmeister Cyrus’ Gedanken immer wieder zu diesem Steinchen zurück, und er fragte sich mehrfach, ob es nicht etwas wie ein Omen gewesen sei, ein dringender, gutgemeinter Rat, umzukehren und sich wieder ins Bett zu legen.
Jankin Badewanne und seine Frau Alison - Auks ältlichstes und am frühesten aufstehendes Ehepaar - saßen auf der Veranda vor dem Canterbury Cafe und spielten Dame, als der Wachtmeister eintraf.
»Morgen, Jed«, sagten sie unisono, ohne aufzublicken. Der Wachtmeister tippte wie jeden Morgen an die Krempe seines Huts und blieb kurz auf der Verandatreppe stehen. Er warf einen raschen Blick die Hauptstraße rauf und runter, um sich zu vergewissern, daß kein Haus über Nacht verschwunden war. Es waren noch alle da, sogar Farrels Trink- und Grillhalle, die immer so aussah, als könnte sie jeden Augenblick auf- und davongeweht werden. Beruhigt tippte er noch einmal an seinen Hut in Richtung Jankin und Alison und betrat das Cafe.
Als er hereinkam, stand die große Uhr hinter der Theke auf 6 Uhr 32. Perry Bailey, der Wirt, sah den Wachtmeister an und stellte die Uhr sofort zwei Minuten zurück.
»Morgen, Jed«, sagte Bailey und reichte ihm die bereitstehende Tasse mit schwarzem Kaffee. Wachtmeister Cyrus gab ihm dreißig Cent und tippte wieder an seinen Hut. Dann begab er sich an einen Tisch am vorderen Fenster und setzte sich hin. Voll Behagen nahm er ein erstes Schlückchen von seinem Kaffee und sagte sich, daß das garantiert mit die erfreulichste Zeit des Tages sei.
Die Jäger kreuzten fünf Minuten später auf, und die Decadents ließen auch nicht viel länger auf sich warten.
III
Die Bohemier von Risley Hall hatten vor gut einer Woche ihre Sommerquartiere in SoHo verlassen, New Jersey auf Nebenstraßen durchquert und steuerten jetzt, durch die nordöstliche Ecke von Pennsylvania, Binghamton im Staat New York an. Einstweilen waren sie nur zu sechst, doch ihre Zahl würde sich in Binghamton verdreifachen und sogar verfünffachen, ehe sie schließlich ihren Einzug in Ithaca halten würden.
Das für die Jahreszeit kühle Wetter war ihnen willkommen. Die Kleidung spielt für einen Bohemier eine große Rolle, und der Hauch von Herbst, der in der Luft lag, hatte ihnen ermöglicht, unterwegs ihre Langmäntel zu tragen und, wenigstens in den frühen Morgen- und Abendstunden, als angenehm zu empfinden. Als sie in Auk einzogen, gaben sie ein farbenprächtiges Bild ab.
Löwenherz, regierender König von Bohemia, ritt vorneweg auf einem prachtvollen schwarzen Hengst, dessen Mähne irokesenmäßig gestutzt und leuchtend purpurn gefärbt war. Das Pferd war ein garantiert reinrassiges, aus England importiertes Vollblut, doch sein Reiter war weitaus schwieriger zu klassifizieren. Dank einer längeren Reihe extrem liberal gesinnter Vorfahren besaß Löwenherz Gene und äußere Merkmale so ziemlich jeder Rasse auf Erden: dunkelbraune Haut, krauses rotes Haar, das er mit Ausnahme eines langen, dünnen Zopfes am Hinterkopf sehr kurz geschnitten trug, grüne Mandelaugen, scharf geschnittene Nase, dünne Lippen, schmale Kinnlade und lange, muskulöse, fast völlig unbehaarte Arme und Beine. Er sah nach keinem landläufigen Maßstab gut aus, wirkte dafür aber so herzerfrischend anders, daß das gar nicht weiter auffiel. Wie es sich für seinen königlichen Stand geziemte, war sein Langmantel ebenso purpurn wie die Mähne seines Rosses.
Myoko und Fujiko, die Grauen Vrouwen, ritten neben Löwenherz auf nicht minder prachtvollen Pferden. Beide Frauen waren Halbasiatinnen, aber während Fujiko klein von Wuchs war und das rotgefärbte Haar Ohren und Nacken freiließ, erreichte Myoko die Einsachtzigmarke, und das Haar wallte ihr mitternachtsschwarz über den halben Rücken hinab. Ihre Langmäntel waren selbstredend grau.
Ragnarök, der bohemische Verteidigungsminister, und Prediger, der bohemische Minister für Moralfragen, ritten Seit an Seit hinter den Vrouwen. Der blonde und hellhäutige Ragnarök war der einzige Bohemier, der nicht auf einem Vierbeiner saß. Er fuhr statt dessen ein jettschwarzes Motorrad und hielt dabei geduldig mit den anderen Schritt; er trug einen schwarzen Vinylregenmantel und eine schwarzgetönte Brille, wenngleich so früh am Morgen die Sonne noch kaum über die
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