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Fool on the Hill

Fool on the Hill

Titel: Fool on the Hill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Ruff
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nichts. Er kroch unter die Plane und sprach mehrere Stunden lang kein Wort. Der Laster rollte weiter, durchfuhr einen kurzen Tunnel am Stadtrand und machte sich an den langen Aufstieg aus dem Tal.
    Sie waren wieder auf dem Weg zum Himmel.
     
    Der Ritt der Bohemier
     
    I
     
    Sollte irgendein friedliebender Millionär einst einen Preis für die ruhigste Kleinstadt in ganz Pennsylvania ausschreiben, würde Auk mit fast hundertprozentiger Sicherheit einen der ersten Plätze belegen. (Zum Sieger dieses Wettstreits würde zweifellos Thanatos erkoren werden. Im Jahre 1892 als Stadtgemeinde konstituiert, ist das knapp zwanzig Kilometer von Scranton entfernt gelegene Thanatos im wahrsten Sinne des Wortes ein Friedhof. Der einzige lebende Einwohner der Stadt ist Desmond Emery Sargträger, seines Zeichens Platzwart, und er schnarcht nicht einmal.)
    Wenn Auk auch niemals hoffen darf, Thanatos’ heitere Ruhe überbieten zu können, unterscheiden sich die beiden Orte an guten Tagen doch nicht allzusehr. In einem Umkreis von fünfzehn Kilometern führt keine größere Straße am Städtchen vorbei; die weitere Umgebung besteht aus pennsylvanischem Wald und sonst nichts, ohne die kleinste Höhle, ohne beskibaren Hang, ohne einen Wasserfall oder sonstige potentielle Touristenattraktionen. Die einzige dort heimische Industrie ist die Puzzlemanufaktur, mit Gewißheit einer der am wenigsten aktionsgeladenen Wirtschaftszweige überhaupt. Den vielleicht überzeugendsten Beweis für Auks friedlichen Charakter erbrachte jedoch die Hundertjahrfeier der Stadt, die erst wenige Jahre vor den hier beschriebenen Ereignissen in einer ruhigen und gesitteten Weise begangen wurde. Es gab kein Feuerwerk, keine marschierenden Blaskapellen oder Umzüge und nur eine einzige Festansprache, die exakt zwei Minuten und siebenunddreißig Sekunden dauerte und damit noch den Durchschnitts-Popsong unterbot.
    Mag dies dem Außenstehenden auch eine langweilige Sachlage dünken, sind die Einwohner von Auk - vielfach Senioren oder doch nicht weit davon entfernt - mit ihrem Leben durchaus zufrieden. Sie brauchen keine Aufmunterung, verbindlichsten Dank auch, und falls es sie einmal tatsächlich nach den wahren Abenteuern gelüsten sollte, so gibt’s ja immer noch das Kabelfernsehen (Auk ist seit einigen Monaten angeschlossen).
     
    Aber man kann nicht alles haben, was man will; nicht immer jedenfalls. Zwei Tage nach Luthers und Blackjacks Zusammenstoß mit Drakon erlebte die Stadt Auk in knapp zwei Stunden genug Aufregung für hundert Jahre: ein Ereignis, von dem die Auker Bürger immer noch reden - und vor dessen Wiederholung sie noch heute bangen.
    Der Zwischenfall erwuchs aus einer verrückten, unausgegorenen Mischung von Besuchern, die schubweise, wie aufeinanderfolgende Wellen von Vandalen, in Auk einfielen: drei Jäger, zwei Bärenjungen, vier Nonnen in einer umgebauten Limousine, ein ausgewachsener Bär, siebeneinhalb versprengte Rocker, auf dem Rückzug nach einem Bandenkrieg in Rhode Island, und zwei methodistische Urlauber, deren einer an Hämorrhoiden litt.
    Und mittendrin Cornells selbsternannte Hüter der Nonkonformität.
    Die Bohemier.
     
    II
     
    Für Jed Cyrus, Wachtmeister der Stadt, begann der Tag wie tausend andere auch. Er wachte um Punkt sechs Uhr auf, duschte, rasierte sich, zog sich an, küßte seine Frau, die indes weiterschlief, auf die rechte Wange und verließ das Haus exakt um 6 Uhr 20. Er ging den Cherville Drive hinunter, eine von Auks vier Nebenstraßen, bis er die Hauptstraße erreichte, wo er links einbog und seinen Weg in Richtung Stadtzentrum fortsetzte. Dies geschah um 6 Uhr 25. Hätten sich die Dinge wie gewohnt weiterentwickelt, wäre er um 6 Uhr 30 im Canterbury Cafe eingekehrt, hätte dort, gelegentlich nippend, fünfzehn Minuten vor einer Tasse schwarzen Kaffees verbracht - er trank sie immer nur zur Hälfte aus und goß den Rest weg - und sich schließlich ins Revier begeben, wo er um 6 Uhr 55 die morgendliche Schreibarbeit in Angriff genommen hätte.
    Das erste Anzeichen dafür, daß nicht alles so glatt verlaufen würde, trat in dem Augenblick auf, als Wachtmeister Cyrus während seines Gangs über die Hauptstraße ein Steinchen in den Stiefel rutschte. Es waren wie angegossen sitzende, richtig schön knackenge Stiefel, und wie es das Steinchen geschafft hatte, sich da einzuschleichen, war ein Geheimnis; doch es setzte sich hinter Cyrus’ Ferse fest und heischte ungeteilte Aufmerksamkeit. Bis er es entfernt und seinen

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