Fool: Roman (German Edition)
eines kann ich euch sagen: Die behämmerten Trompeten im Morgengrauen werde ich nicht vermissen. Und auf die Ketten der Zugbrücke, die schon vor dem ersten Hahnenschrei durch meine Kammer rasselten, kann ich auch verzichten. Es war, als zögen wir in den Krieg, bei alldem, was zum Sonnenaufgang los war. Durch die Schießscharte sah ich, wie Cordelia mit Frankreich und Burgund hinausritt, wobei sie wie ein Mann in den Steigbügeln stand, als wollte sie zur Jagd und nicht auf immerdar das Heim ihrer Ahnen verlassen. Zugutehalten muss man ihr, dass sie sich nicht umsah, und ich winkte ihr auch nicht, selbst als sie den Fluss überquerte und nicht mehr zu erkennen war.
Drool war nicht so wetterwendisch, und als man ihn mit einem Strick um den Hals aus der Burg führte, blieb er mehrmals stehen und sah sich um, bis der Soldat, an welchen er gefesselt war, ihn mit einem Ruck zum Weitergehen zwang. Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dass er mich sehen sollte, also trat ich nicht auf die Mauer hinaus. Stattdessen schlich ich zu meiner Pritsche und lag da, presste meine Stirn an den kalten Stein der Mauer und lauschte, wie der Rest der königlichen Familie mit ihrem Gefolge unter mir über die Zugbrücke rumpelte. Elender Lear, elende Königsfamilie, elender, verfluchter White Tower! Alles, was mir etwas bedeutete, war nun fort oder läge bald schon hinter mir, und alles, was mir gehörte, steckte in einem Knappsack und hing an meinem Haken. Jones ragte oben heraus, verhöhnte mich mit seinem Puppengrinsen.
Da klopfte es an meiner Tür. Ich schleppte mich hinüber, als stiege ich aus dem Grab. Dort stand sie, frisch und drall, mit einem Korb in Händen.
»Fiona!«
»Kate«, sagte Fiona.
»Aye, dein Starrsinn steht dir, selbst bei Tageslicht.«
»Bubble sendet dir ihr Beileid – wegen Taster und Drool, und schickt dir diese beiden Kuchen und Milch zum Trost. Ich soll sagen, dass du die Burg auf keinen Fall verlassen darfst, ohne Abschied zu nehmen, und fürderhin, dass du ein Hundsfott, ein Schurke und ein juckender Ausschlag bist.«
»Ach, die gute Bubble... als die Güte einen Oger fickte, da wurde sie gezeugt.«
»Und ich bin gekommen, um selbst Trost anzubieten und zu vollenden, was wir letzte Nacht in der Großen Halle begonnen hatten. Squeak sagt, ich soll dich nach einem kleinen Kerl im Kanu fragen.«
»Mannomann, Fi... du bist ein ganz schönes Flittchen, oder?«
»Druidisch, Süßer. Mein Volk verbrennt jeden Herbst eine Jungfrau – man kann gar nicht vorsichtig genug sein.«
»Na gut, meinetwegen, aber ich bin zu Tode betrübt und werde keine Freude daran haben.«
»Dann werden wir eben gemeinsam leiden. Wohlan! Herunter mit dem Zeug, Narr!«
Manchmal frage ich mich, was ich an mir habe, das den Tyrannen in den Frauen weckt.
Aus dem »nächsten Morgen« wurde eine ganze Woche der Vorbereitungen für den Auszug aus dem White Tower. Als Lear erklärte, er wolle von hundert Rittern begleitet werden, war es nicht so, als könnten hundert Mann aufsitzen und bei Sonnenaufgang aus der Burg reiten. Jeder Ritter – landlose zweite oder dritte Söhne von Adligen – hatte mindestens einen Knappen, einen Pagen, gewöhnlich jemanden, der für seine Pferde sorgte, und manchmal noch einen Soldaten dabei. Jeder hatte mindestens ein Streitross, ein mächtiges, gepanzertes Vieh, und zwei, manchmal auch drei Tiere, welche Rüstung, Waffen und Verpflegung transportierten. Und Albany lag immerhin drei Wochen gen Norden, Nähe Aberdeen. Bei der Geschwindigkeit, die der greise König und das vielköpfige Fußvolk vorgaben, würden wir einen ganzen Arsch voll Proviant brauchen. Gegen Ende der Woche maß unsere Marschkolonne über fünfhundert Mann mit fast ebenso vielen Pferden. Wir hätten einen ganzen Wagen voller Münzen gebraucht, um alle zu bezahlen, hätte Lear nicht Albany und Cornwall dazu verpflichtet, für seine Ritter aufzukommen.
Ich sah mir an, wie Lear am Kopf der Kolonne unterhalb meiner Schießscharte ritt, bevor ich hinunterlief und mein eigenes Pferd erklomm, eine durchhängende Stute namens Rose.
»Kein Schmutz soll das Kleid meines Schwarzen Narren besudeln, damit auch sein Witz keinen Schaden nimmt«, hatte Lear an jenem Tag gesagt, als er mir das Pferd vorführte. Das Tier gehörte mir natürlich nicht. Es gehörte dem König... oder jetzt wahrscheinlich seinen Töchtern.
Ich ließ mich ans Ende der Kolonne fallen, hinter Hunter mit seiner Hundemeute und dem Wagen mit dem Käfig für
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