For the Win - Roman
müssen, damit man auf den Filmabend verzichtete? Oder auch: Ab welchem Eintrittspreis würde man lieber etwas anderes tun?
Daraus konnte man dann die Coase-Kosten ableiten: Wie viel musste man jemandem bieten, damit er einem die ganze Organisation abnahm? Oder: Wie viel Geld konnte man in derselben Zeit in einem Nebenjob verdienen, statt mit seinen Freunden am Telefon fangen zu spielen?
Am Ende kam etwas dabei heraus, das etwa so aussah:
[Wert des Films] – [Kosten, seine Freunde dafür zusammenzutrommeln] = [Nettowert des Kinoabends]
Aus diesem Grund konnte es passieren, dass man etwas weniger Schönes, aber Einfacheres (wie daheimzubleiben und fernzusehen) einer schöneren, jedoch komplizierteren Unternehmung vorzog. Ein Kinoabend war zwar eine tolle Sache – aber wenn es einfach zu nervtötend wurde, die Leute dafür zu mobilisieren, sank die Zahl solcher Abende dramatisch.
Fünf, sechs Jahrzehnte später stellte sich das alles schon ganz anders dar. Angenommen, es war wieder Freitagabend, eine knappe Stunde vor Filmbeginn: Dann nahm man sein Handy und googelte, was in den Kinos lief, sortiert nach Entfernung. Die Auswahl schickte man dann seinen Freunden (wenn das Handy smart genug war, dann nur denen in der Nähe). Alle Leute schickten ihre Antworten an alle, und ein paar E-Mails später hatte man genügend Freundinnen und Freunde für einen schönen Abend beisammen. Die Karten kaufte man auch gleich per Handy.
Falls man sich in der Menschenmenge vor dem Kino nicht fand, telefonierte man sich einfach zusammen und machte als Treffpunkt die Snackbar aus. Und kurz darauf saß man mit einer Tüte Popcorn auf seinem Platz.
Ja und? Wieso sollte es irgendwen kümmern, wie viel es kostet, irgendwas auf die Reihe zu kriegen? Weil diese Kosten der Preis dafür sind, übermenschlich (im Sinne von über die Möglichkeiten eines einzelnen Menschen hinaus ) zu agieren.
In der guten alten – der sehr alten – Zeit waren unsere VorfahrennocheinzelgängerischeAffen.Siearbeitetenpaarweise oder allein, sammelten Essen, versorgten die Kleinen, hielten nach Räubern Ausschau, kümmerten sich um den Schlafplatz. Das brachte gewisse Beschränkungen mit sich: Wenn man mit Babysitten beschäftigt war, konnte man schlecht gleichzeitig auf Essenssuche gehen. War man auf Essenssuche unterwegs, entging einem vielleicht der Tiger – und der Nachwuchs war futsch.
Dann betrat ein Stamm von Affen die Bildfläche, bei denen die Arbeit geteilt wurde. Der Stamm bestand nicht mehr nur aus Einzelgängern, sondern aus Gruppen, und die konnten mehr, als in der Macht eines einzelnen Affen stand. Gewissermaßen waren sie über ihre eigene Affigkeit hinausgewachsen: Sie waren zu Superaffen geworden.
Ein Superaffe zu sein, war ganz schön schwer. Für den Einzelnen boten sich zwei Möglichkeiten, davon zu profitieren: Entweder, man machte mit, fütterte gemeinsam mit seinen Affenkumpels die Kleinen und hielt ein Auge auf die Tiger – oder man hielt ein Nickerchen im Gebüsch, tat so, als arbeitete man, und kreuzte nur zum Essen auf.
Aus der Perspektive des Einzelnen war es nicht mal unvernünftig, der faule Affe zu sein: Ein oder zwei Faulpelze konnte der Stamm immer verkraften. Und wenn man damit durchkam und immer noch satt wurde, wieso auch nicht?
Kamen aber alle auf die Idee, dann war’s das mit den Superaffen: Niemand sammelte mehr Früchte, keiner kümmerte sich um die Kinder – und Mist, ich dachte, du kümmerst dich um die Tiger! Viele faule Affen plus ein Tiger machten eine ordentliche Mahlzeit.
Deshalb brauchten Affen – und ihre haarlosen Nachfahren auch – spezielle Hardware, um Mogler zu bemerken und zu bestrafen, bevor sich deren Verhalten durchsetzte und die Tiger kamen. Diese spezialisierte Hardware war das Gewebe rund um das Großhirn namens Neocortex, die »neue Rinde«. Der Neocortex war dafür zuständig, ein Auge auf die anderen Affen zu halten. Er war der Teil des Gehirns, der die sozialen Kontakte organisierte und überwachte, sich in sie verliebte oder sie hassen lernte. In ihm waren Repräsentationen aller Menschen verstaut, die man kannte. Dort gab es am meisten Aktivität, wenn man mit Facebook oder anderen sozialen Netzwerken herumspielte. Und auch die mütterliche Stimme, die einen ans Zähneputzen erinnerte, kam von dort.
So gesehen waren der Neocortex und seine Synapsen die Coase-Kosten des Gehirns. Jeder Atemzug, den man tat, jede Kalorie, die man zu sich nahm, jeder einzelne Herzschlag versorgte
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