For the Win - Roman
hängen. Steckte sich den Hörer ins Ohr. Griff nach dem Computer. »Ja«, sagte sie. »Muss ich wohl. Solange sie mir zuhören, muss ich auch senden.«
Matthew weinte, während er ziellos durch die Straßen lief. Er hatte als einer der Ersten das Gebäude verlassen, als die Polizei kam, und war durch die Absperrung geschlüpft, ehe es kein Entkommen mehr gab. Dann in ein anderes Haus, wo er als Kind häufig gespielt hatte, und aufs Dach hinauf. Dort hatte er sich zwischen Kieseln und Scherben auf den Bauch gelegt und mit ansehen müssen, wie die Polizei seine Freunde jagte und einen nach dem anderen einfing. Die Webblys lagen in einer Reihe mit dem Gesicht auf dem Boden, und wenn sie versuchten, sich zu unterhalten, trat man sie, bis wieder Ruhe herrschte.
Dann bekamen sie Handschellen angelegt und die Augen verbunden. Drei Polizisten gingen die Reihe ab – einer mit Handschellen, einer mit Kapuzen und einer, der mit dem Gewehr Wache schob. Es schien endlos zu dauern, und Matthew bemerkte, dass er längst nicht der Einzige war, der das schreckliche Schauspiel verfolgte: Die wäschebehangenen Balkone der baufälligen Gebäude zitterten, als sich immer mehr Leute darauf zusammendrängten, die Handys auf die Gasse unter sich gerichtet. Auch Matthew nahm sein Handy, zoomte der Reihe nach auf jedes Gesicht und versuchte, ein Bild von jedem Webbly zu bekommen, ehe er unter einer Kapuze verschwand. Die Bilder würde er online stellen und an die ausländische Presse oder die regimekritischen Blogger mit ihren Offshore-Servern verbreiten.
Dann gab es auf einmal Aufruhr. Ping schlug wie verrückt um sich und stieß sich so hart den Kopf, dass Matthew es noch sechs Stockwerke höher hören konnte. Er wusste mit schrecklicher Klarheit, dass sein Freund einen seiner epileptischen Anfälle durchlitt. Die hatte er zwar nicht oft, doch wenn sie kamen, dann mit aller Gewalt. Es war furchtbar mitanzusehen. Die Polizisten versuchten, ihn an Armen und Beinen festzuhalten, und einer von ihnen bekam einen harten Tritt gegen das Knie. Dann traf Pings Arm den Gefangenen neben ihm, der bereits eine Kapuze trug. Der rollte sich zur Seite, versuchte, auf die Beine zu kommen, und die Polizisten stürmten auf sie ein, die Gewehrkolben erhoben.
Was folgte, schien sich eine Ewigkeit lang hinzuziehen. Matthew gab sich alle Mühe, nicht zu schreien, und litt unter seiner eigenen Unentschlossenheit. Er wollte nach unten rennen und seinen Freunden helfen, doch er war machtlos, und seine Angst lähmte ihn.
Einer der Polizisten schlug dem blinden Webbly, der gerade aufgestanden war, in die Nieren, und der Junge taumelte und schrie und bekam irgendwie den Gewehrkolben zu fassen. Die beiden kämpften um das Gewehr, die Gefangenen auf dem Boden riefen durcheinander, immer mehr Polizisten kamen gerannt – und dann zog einer von ihnen seinen Revolver und schoss dem Jungen mit der Kapuze in aller Ruhe in den Kopf. Blut spritzte auf die Kapuze. Der Junge brach zusammen.
Nun war es zu spät. Die Jungen sprangen auf die Beine und griffen an, Krieger, ihren Schlachtruf auf den Lippen, tapfere Kinder, doch unbewaffnet und dumm, und die Polizei schoss und schoss und schoss drauflos.
Der Korditgeruch raubte ihm fast die Sinne. Er dachte an das Feuerwerk, das er Neujahr immer mit seinen Freunden abgebrannt hatte. Dazwischen der Geruch nach Blut und Fäkalien. Matthew weinte leise, während er weiter sein Handy auf das Gemetzel richtete und alles filmte. Dann schaute ein Polizist hoch und schrie der Menge, die Zeuge des Massakers geworden war, etwas Unverständliches zu. Auf seinem Helm glänzte eine Kameralinse in der Morgendämmerung. Die restlichen Polizisten folgten seinem Blick, Matthew duckte sich rasch, dann brach überall auf den Balkonen ringsum Geschrei aus.
Matthew stürmte über das Dach, nahm Anlauf und sprang mühelos über den schmalen Abgrund auf das Nachbardach. Er floh noch zwei Dächer weiter, ohne einen klaren Gedanken zu fassen, getrieben von blankem Überlebensinstinkt. Dann fand er sich auf einmal auf der Straße wieder, ohne jede Erinnerung daran, eine Treppe genommen zu haben. Er ging, so rasch er konnte, immer weiter Richtung Stadtzentrum, wo die teuren Läden waren, die Zuhälter, Geschäftsleute und Internetcafés, wo johlende Kinder gegen Orks kämpften, Weltraumpiraten vom Himmel holten und Superbösewichte bekriegten.
Tränen rannen ihm die Wange hinab, und die Pendler auf dem Weg zur Arbeit schlugen einen weiten Bogen um
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