For the Win - Roman
Menge.
Maler mit Atemschutzmasken schnappten sich die Kanister und warfen sie kurzerhand durch die Fabrikfenster. Die Bosse und Sicherheitsleute im Inneren wurden ausgeräuchert und kamen hustend und unter Tränen nach draußen gerannt.
Die Menge wuchs immer weiter und bewegte sich auf die Polizei zu , statt von ihr weg. Ein Polizist schnellte nach vorn, den Knüppel erhoben, Mund und Augen unter dem Visier weit aufgerissen. Drei Mädchen sprangen rasch beiseite und stellten ihm ein Bein, und die Menge schloss sich über ihm. Der Polizist war verschwunden. Unruhe erfasste die anderen Polizisten – doch gerade, als es so aussah, als wollten sie angreifen, zog die Menge sich wieder zurück. Der Polizist lag am Boden und kroch davon. Man hatte ihm Helm, Schlagstock und Schild abgenommen, außerdem den Gürtel mit seiner Dienstwaffe, dem Gas und ein paar Plastikhandschellen.
Jetzt haben wir eine Pistole , dachte Matthew und stellte wie aus großer Ferne fest, dass er wieder wie ein Taktiker zu denken begann, nicht wie ein kleiner, ängstlicher Junge. Auf einmal wusste er, von wo die Polizei als Nächstes kommen musste, nämlich aus dieser kleinen Gasse dort drüben: Wenn sie die besetzt hielt, würde sie alle Zugänge zum Platz kontrollieren, und die Demonstranten säßen in der Falle.
»Wir brauchen mehr Leute dort drüben!«, rief er Mei zu, der zierlichen Malerin. Sie hatten Seite an Seite gestanden und Parolen skandiert. »Und da auch. Möglichst viele! Wenn die Polizei uns dort einschließt … «
Sie nickte und drängte sich durch die Menge, tippte Leuten auf die Schulter und schrie ihnen über den Lärm hinweg ins Ohr. Matthew hörte Polizeisirenen und dann auch den ersten Hubschrauber. Der Hubschrauber trieb ihm den kalten Schweiß auf die Stirn: Wenn der etwas abwarf – nur Tränengas, keine Bomben, ganz bestimmt keine Bomben , wiederholte er wie ein Gebet – , konnten sie sich nirgends mehr verstecken. Einzelne Demonstranten zogen los, um mit Ziegelsteinen und Handys bewaffnet die Gassen zu verteidigen. Wenn sie diese Gassen besetzt hielten, würden sie für die Polizei genauso schwer einzunehmen sein wie umgekehrt.
Alle Handys reckten sich dem Hubschrauber entgegen. Der aber drehte ab und flog in eine andere Richtung davon. Matthew bemerkte, dass er mehrere Anrufe verpasst hatte. Eine ausländische Nummer, die er nicht kannte. Er rief sie zurück und duckte sich tief in den Wald stampfender Füße, wo es ein kleines bisschen leiser war.
»Hallo?«, fragte eine Frauenstimme auf Englisch.
»Sprichst du Chinesisch?«, fragte er auf Kantonesisch.
Es gab eine kurze Pause, und das Telefon wurde an jemand anderen gereicht. »Wer ist da?«, fragte jemand auf Mandarin.
»Ich heiße Matthew«, sagte er. »Du hast mich angerufen?«
»Du gehörst zur Gruppe in Shenzhen?«, fragte der Mann.
»Ja.«
»Wir haben noch einen Überlebenden!«, rief der Mann und klang aufrichtig erfreut.
»Wer spricht da?«
»Krang«, erwiderte der Mann. »Ich arbeite für Schwester Nor. Wir sind ja so froh, von dir zu hören! Geht es dir gut, bist du in Sicherheit?«
»Ich stecke mitten in einem Streik. Ein paar tausend Maler in Dafen. Das ist ein Dorf in Shenzhen, wo Bilder … «
»Du bist in Dafen? Wir haben Fotos davon gesehen. Sieht unglaublich aus! Was ist da los?«
Ohne groß nachzudenken, erklomm Matthew eine Parkbank, reckte den Hals und lieferte dem Mächtigen Krang einen knappen, kompetenten Lagebericht. Er kannte Krang von einer Reihe Videokonferenzen mit Schwester Nor und Justbob. Damals hatte er meistens im Hintergrund rumgeblödelt. Jetzt aber klang er völlig ernst und bei der Sache.
»Hast du auch was von den anderen Streiks gehört?«
»Von anderen Streiks?«
»Überall«, kam die Antwort. »Lianchuang, Nanling und Jianying Gongyequ. In Jianying Gongyequ brennt eine Fabrik. Das ist ziemlich schlecht – diese Draufgänger! Hätten sie sich vorher mit uns abgesprochen, hätten wir ihnen das ausgeredet. Aber gut.« Er schwieg kurz. »Die Bilder waren wirklich hart. Die Zweiundvierzig, meine ich.«
»Ich habe noch mehr Fotos.«
»Ja? Woher?«
»Ich war dabei.«
»Oh.«
Eine lange Pause.
»Matthew, bist du in Sicherheit, da, wo du jetzt bist?«
Matthew reckte wieder den Hals. Die Polizei hatte sich etwas zurückgezogen, und die Demonstration hatte eher den Charakter eines Volksfests angenommen. Die Künstler lachten und unterhielten sich. Ein paar hatten Instrumente geholt und machten Musik.
»Ja,
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