For the Win - Roman
Dorf sein und alt werden. Mein eines Baby kriegen und hoffen, dass es ein Junge ist. Rattengift schlucken, wenn es alles zu viel wird.« Sie sah ihm in die Augen, und er musste sich zusammenreißen, um nicht zurückzuzucken.
»Ich behaupte ja nicht, dass ich wüsste, wie dein Leben aussieht«, antwortete er mit zitternder Stimme. »Aber Jie, ich glaube nicht, dass du das wirklich willst. Zweiundvierzig von uns sind tot. Ich finde, wir können jetzt nicht einfach aufhören.« Er dachte: Ich bin so weit weg von daheim, und ich weiß nicht, wie ich je zurückkommen soll. Er dachte: Wenn sie jetzt geht, bin ich ganz allein. Und dann dachte er: Feigling. Am liebsten hätte er den Kopf gegen irgendetwas geschlagen, um nicht mehr nachdenken zu müssen.
Sie streckte die Hand nach dem Rechner aus, und er begriff, dass sie ihn herunterfahren wollte.
»Warte!«, rief er. »Jetzt warte doch mal.« Er suchte nach den richtigen Worten. In den letzten Wochen hatte er begonnen, auf Chinesisch zu denken, manchmal sogar zu träumen, doch jetzt fiel ihm nichts davon mehr ein. »Ich … « Frustriert schlug er sich mit der Faust aufs Bein. »Ich geb jetzt nicht auf«, sagte er. »Wenn du jetzt zu deinem Dorf zurückkehrst, geht es trotzdem weiter, bloß ohne dich. Ohne Jiandi, die große Schwester der Arbeiterinnen. Als Lu mir von dir erzählt hat, hielt ich ihn erst für verrückt, dachte, das kann gar nicht sein, dass du so viele Hörerinnen hast. Er hielt dich für eine Art Göttin oder Königin, die einer Armee von Millionen befiehlt. Er meinte, du würdest wahrscheinlich gar nicht verstehen, wie wichtig du bist. Wie sehr du … «, er brach ab und rang nach Worten. »Wie sehr du strahlst. So hat er’s gesagt. Du strahlst, du bist wie ein strahlendes Licht, dem alle Leute einfach nur folgen wollen. Alle, die dich kennen, alle, die dich hören, vertrauen dir und wollen deine Freundin sein.
Die Webblys werden weiterkämpfen, wenn du gehst. Aber ich glaube, ohne dich werden sie verlieren.«
Finster starrte sie ihn an. »Mit mir werden sie wahrscheinlich auch verlieren. Hast du eigentlich eine Ahnung, was für eine schwere Bürde du mir da auflädst? Ihr alle ? Das ist total unfair. Ich bin weder eure Göttin noch eure Königin. Ich mache Radio!«
Die Wut stieg in Wei-Dong hoch. »Richtig! Du machst Radio. Du arbeitest aber nicht für irgendeinen Regierungskanal wie CCTV ! Du gehörst zum kriminellen Untergrund. Jahrelang hast du den Mädchen gesagt, dass sie mehr Rechte für sich einfordern sollen, hast in Verstecken und unter falscher Identität gelebt. Das hast du dir selbst ausgesucht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass du nicht davon geträumt hast. Schau mich an und sag mir, dass du nicht davon geträumt hast, die Führerin von Millionen zu sein, die dir folgen und alle zu dir aufsehen! Los, sag schon!«
Sie tat etwas, womit er nicht gerechnet hatte: Sie lachte. Ein leises, brüchiges Lachen mit vielen scharfen Glasscherben darin, aber dennoch ein Lachen. »Ja«, sagte sie, »klar hab ich davon geträumt. Als kleines Mädchen schon, mit einer Bürste als Mikro vorm Spiegel meiner Eltern. Der DJ , dem alle zuhören. Okay. Und weiter?« Ihr Lächeln war so hell und traurig, dass Wei-Dong die Knie weich wurden. »Ich hätte aber nie gedacht, dass ich mal hier lande. Ich dachte, ich werde ein hübsches Mädchen im Fernsehen, das man auf der Straße erkennt. Kein Flüchtling.«
Wei-Dong zuckte die Schultern, denn er wusste sehr gut, wovon sie sprach. »Die Zukunft wird selten so, wie wir sie uns mal vorgestellt haben. Denk doch nur an all diese verrückten Goldfarmer!«
Sie grinste. »Auch nicht verrückter als Plastikbananen für schwedische Supermärkte herzustellen. Das war mein erster Job hier, wusstest du das?« Sie rollte sich die Ärmel hoch. Ein Netzwerk alter Brandspuren überzog ihre Handgelenke. »Dann waren es billige Perlen für etwas, das sich ›Mardi Gras‹ nennt. Boss Chan mochte mich, und ihm gefiel meine Arbeit. Wir trugen nicht einmal Masken, und ich habe mich immer wieder verbrannt – aber niemals beschwert.« Sie verdrehte den Unterarm, und dort sah er, spiegelverkehrt, das Nike-Logo, aus faltigem, alten Narbengewebe. »Danach habe ich an einer ähnlichen Maschine in einer Schuhfabrik gearbeitet. Da, siehst du das Logo? Viele der Arbeiterinnen hatten es. Wir kamen uns vor wie Rinder, die eins nach dem anderen ihr Brandzeichen bekommen.«
»Gehst du noch mal auf Sendung?«
Sie ließ die Schultern
Weitere Kostenlose Bücher