For the Win - Roman
den Mund. »Hallo, Mädels!«, rief sie und klickte mit der Maus. »Hier ist eure beste Freundin, Schwester Jiandi, auf die ihr euch immer verlassen könnt, die Freundin, die euch nie im Stich lässt, der ihr all eure Geheimnisse anvertrauen könnt – solange es euch nichts ausmacht, dass acht Millionen Mädchen sie erfahren!« Sie kicherte über ihren eigenen Witz. »Oh, liebe Schwestern, es wird eine tolle Nacht, das kann ich euch versprechen! Später hab ich noch eine besondere Überraschung für euch, zuerst aber wollen wir uns unterhalten! Heute Abend benutze ich den Chat von Amazon Frankreich, chat.amazon.fr, also los, meldet euch an. Ihr findet mich unter jiandi88888. Denkt daran, die neuesten FLG -Proxys zu benutzen. Sieht so aus, als wären die Übersetzungsdienste von yahoo.ru und 123india.in momentan nicht gesperrt, das sollte euch die Anmeldung erleichtern. Also, worauf wartet ihr? Los geht’s!«
Sie klickte, und eine Werbung für Falun Gong plärrte Lu ins Ohr. Er streifte eine der Ohrmuscheln ab. Jie klappte ihr Mikro weg und deutete mit dem Finger auf ihn. »Na, spürst du den Zauber schon?«
»Das ist es? Das ist deine große Show?«
»Ja doch. Wahrscheinlich müssen wir im Laufe des Abends drei- oder viermal den Chat wechseln, weil sie die Firewall aktualisieren. Das macht Spaß! Du wirst schon sehen.« Die Werbung kam zum Ende.
»Sag was«, bat Jie mit warmer Stimme. Er brauchte einen Moment, um zu kapieren, dass sie ins Mikro sprach, und nicht mit ihm.
»Hallo?«
»Ja, Schätzchen, hallo. Du bist live. Na los, rede! Wir haben bloß die ganze Nacht!«
»Oh, ähm … « Die Stimme war weiblich, mit einem starken Henan-Akzent, und er hörte die Angst darin.
»Ist schon okay, Süße, mein Herzchen, ist schon okay. Rede mit mir.« Jies Stimme war ein Locken, ein Schnurren, eine Versuchung. Ihre Augen schimmerten feucht, und sie schürzte ihre Lippen in einer Geste reinen Mitgefühls. Am liebsten hätte Lu ihr seine Geheimnisse erzählt.
»Es ist bloß … « Die Stimme brach ab. Das Mädchen weinte. Im Hintergrund hörte er die Geräusche eines Schlafsaals in einer geschäftigen Fabrik: rufende Mädchen, Gelächter, Gespräche.
Jie beruhigte die Anruferin.
»Es geht um meinen Boss«, erklärte das Mädchen schließlich. »Zuerst war er so nett zu mir. Er sagte, ich sei ihm sehr wichtig, weil wir doch beide aus Henan stammen. Er sagte, er werde mich beschützen. Er hat mir die Stadt gezeigt. Ein Restaurant an der Börse. Den Window-of-the-World -Park.«
»Er wollte aber auch was im Gegenzug, richtig?«
»Das war mir auch klar. Ich höre ja deine Show. Ich dachte aber, bei mir sei es anders. Ich dachte, er sei anders. Aber er … Nachdem wir uns geküsst hatten, sagte er, er wolle mehr. Alles. Er sagte, ich schuldete ihm das. Es müsse mir doch bewusst gewesen sein, als ich seine Einladung annahm. Und jetzt würde ich ihn betrügen, wenn ich nicht … « Sie fing an zu weinen.
Jie zog ein Gesicht und ließ ungeduldig den Finger kreisen. Ihre Gefühllosigkeit schockierte Lu. Doch als das Weinen aufhörte, war ihre Stimme wieder voller Mitgefühl und Verständnis.
»Mein Armes, dich hat es wirklich schlimm erwischt, was? Natürlich hast du gewusst, was passieren würde, aber Kopf und Herz wollen nicht immer das Gleiche, richtig? Die Frage lautet aber nicht, ob du einen Fehler gemacht hast – denn das hast du, du hast so ziemlich alles falsch gemacht – , sondern was wir jetzt dagegen tun können. Habe ich recht?«
»Ja.« Die Stimme war so leise und eingeschüchtert, dass er sie kaum hören konnte. Er stellte sich ein Mädchen vor, das auf die Größe einer Maus zusammengeschrumpft war und vor Angst zitterte.
»Es ist eigentlich ganz einfach. Nicht leicht, aber einfach. Schlag dir deinen letzten Lohn aus dem Kopf und verlass die Fabrik, gleich morgen früh. Geh zu einem Arbeitsvermittler in der Xi-Li-Straße, such dir was, irgendwas, und fang von vorn an. Dann rufst du die Frau von deinem Boss an. Ist er verheiratet?«
»Ja.« Die Stimme klang jetzt ein wenig lauter.
»Ruf seine Frau an und erzähl ihr alles. Erzähl ihr, was er getan und gesagt hat. Sag ihr, dass es dir sehr leidtut, auch, dass ihr Mann ein so verlogener, stinkender Drecksack ist. Erzähl ihr, dass du deinen Job und deinen Lohn verloren hast. Dann gehst du wieder arbeiten. Und egal, was dein neuer Boss sagt oder tut, du gehst nicht mit ihm aus. Hast du verstanden?«
»Seine Frau anrufen … «
»Ruf sie an, vergiss
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