Forbidden
dass ich ihm verzeihe, dass es nicht seine Schuld war, dass ich ihn liebe, dass ich ihn immer, immer geliebt habe, trotz all der Kämpfe zwischen uns …
Ein Nachbar zieht ihn fort, und das Polizeiauto fährt los. Als der Wagen beschleunigt, drehe ich mich ein letztes Mal um und sehe durch das Rückfenster, wie Kit uns nachrennt, wie seine langen Beine auf den Asphalt trommeln, wie sein Gesicht die wilde Entschlossenheit zeigt, die ich von ihm kenne – von den vielen Malen, die wir miteinander Fußball oder Wer hat Angst vorm schwarzen Mann? gespielt haben … Irgendwie schafft er es, mit dem Auto mitzuhalten, bis wir auf die Hauptstraße abbiegen. Ich drehe den Kopf, um noch ein allerletztes Mal einen Blick auf ihn zu erhaschen. Ich sehe, wie er völlig außer Atem stehen bleibt und sich die Seiten hält: besiegt, weinend und schreiend.
Kit steht da, schaut dem Wagen nach, als könnte er ihn zur Umkehr zwingen, und ich beobachte, wie er immer kleiner wird, je mehr sich der Abstand zwischen uns beiden vergrößert. Bald ist mein Bruder nur noch ein winziger Fleck in der Ferne – und dann kann ich ihn überhaupt nicht mehr sehen.
Sechsundzwanzigstes Kapitel
Lochan
Wir halten auf einem großen Parkplatz, der mit allen möglichen Polizeiautos vollgestellt ist. Wieder werde ich fest am Arm gepackt. Man zerrt mich aus dem Wagen. Der Druck meiner vollen Blase lässt mich leise aufstöhnen. Ein kalter Windstoß fährt über den freien Platz, mich fröstelt in meinem kurzärmligen T-Shirt. Man führt mich über den Asphalt zu einem Hintereingang, einen kurzen Korridor entlang und dann durch eine Tür, auf der »Erkennungsdienstliche Behandlung« steht. Hinter einem Tisch sitzt ein weiterer Polizist in Uniform. Die zwei Officer an meiner Seite sprechen ihn als Sergeant an und informieren ihn über meine Straftat, aber zu meiner großen Erleichterung blickt er mich kaum an, sondern tippt nur die Angaben zu meiner Person in seinen Computer. Mir wird erneut vorgelesen, welches Vergehen mir zur Last gelegt wird. Auf die Frage, ob ich das alles auch verstanden habe, sind sie mit meinem Kopfnicken nicht zufrieden. Sie wiederholen die Anklage noch einmal, und ich bin gezwungen, mich laut zu äußern.
»Ja.« Ich bringe nicht mehr als ein Flüstern heraus. Ich bin jetzt nicht mehr zu Hause. Es besteht keine Gefahr, dass Maya noch mehr in Angst und Schrecken versetzt wird, und ich spüre, wie meine Selbstbeherrschung mich allmählich verlässt: Der Schock überwältigt mich, Grauen und blinde Panik breiten sich in mir aus.
Die Vernehmung beginnt, und ich werde noch einmal gebeten, meinen Namen, meine Adresse und mein Geburtsdatum zu nennen. Ich bemühe mich zu antworten, aber mein Gehirn schaltet nach und nach ab. Als ich nach meiner Beschäftigung gefragt werde, zögere ich. »Ich – ich habe keine«, antworte ich schließlich.
»Dann sind Sie arbeitslos?«
»Nein. Ich – ich gehe noch zur Schule.«
Der Sergeant blickt mich an. Mein Gesicht brennt unter seinem durchdringenden Blick.
Es folgen Fragen zu meiner Gesundheit und meiner psychischen Verfassung – sie scheinen zu glauben, dass nur ein Psychopath zu einer solchen Tat fähig ist. Als ich gefragt werde, ob ich einen Anwalt hinzuziehen möchte, schüttele ich den Kopf. Ich will nicht, dass noch jemand damit befasst wird, dass ich noch jemandem schildern muss, welche Untat ich begangen habe. Außerdem will ich ja meine Schuld beweisen, nicht meine Unschuld.
Dann nimmt man mir die Handschellen ab. Ich werde aufgefordert, alles abzugeben, was ich bei mir habe. Ich habe nichts bei mir und bin erleichtert, dass ich das Foto aus meinem Zimmer nicht mitgenommen habe. Vielleicht bewahrt Maya es ja auf. Aber das Beste wäre, sie schneidet die beiden Erwachsenen rechts und links ab und hebt nur das Foto der fünf Kinder auf, die dicht gedrängt zwischen ihnen auf einer Bank sitzen. Denn wir fünf Kinder, das ist unsere Familie. Wir lieben uns. Wir waren zusammen und haben darum gekämpft, zusammen bleiben zu dürfen. Wir haben keine Eltern gebraucht.
Sie verlangen von mir, die Hosentaschen auszuleeren und aus den Turnschuhen die Schnürsenkel herauszuziehen. Meine Händezittern so stark, dass ich es kaum schaffe, und ich spüre die Ungeduld und Verachtung der Polizisten, als ich mich zwischen ihren Hosenbeinen auf den Boden knie. Die Schnürsenkel werden in einen Umschlag gesteckt, und ich muss dann unterschreiben, was mir ziemlich idiotisch vorkommt. Eine
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