Forbidden
vorbeiführen, bemerke ich im Augenwinkel eine Bewegung und bleibe stehen. Ich drehe den Kopf überrascht zu einer Gestalt im Sessel – es ist Kit. Er sitzt dort reglos, mit bleichem Gesicht, auf dem Boden seine sorgfältig gepackten Taschen für die Klassenfahrt auf die Isle of Wight, neben ihm auf dem Sofa eine Polizistin. Er dreht ebenfalls den Kopf zu mir. Ich starre ihn verständnislos an, werde von hinten gestoßen, meinen Hintern weiterzubewegen. Ich stolpere gegen den Türrahmen, flehe Kit mit den Augen um eine Erklärung an.
»Was machst du hier?« Ich kann nicht fassen, dass er Zeuge von all dem hier wird. Ich kann nicht fassen, dass sie ihn auch noch irgendwie abgefangen haben; dass er jetzt auch in das alles verwickelt ist. Er ist schließlich erst dreizehn! Ich möchte am liebsten aufschreien. Er sollte doch auf seiner Klassenfahrt sein, auf die er sich schon seit Wochen gefreut hat, und nicht mitbekommen müssen, wie sein älterer Bruder in Handschellen abgeführt wird, weiler seine sechzehnjährige Schwester vergewaltigt hat. Ich möchte wild um mich schlagen, sie zwingen, ihn in Ruhe zu lassen.
Seine Augen wandern von meinem Gesicht zu den Handschellen um meine Handgelenke, dann zu den Polizisten, die versuchen, mich weiterzustoßen und weiterzuzerren. Kits Gesicht ist fahl und leer.
»Du hast es ihm erzählt!«, ruft er auf einmal so laut, dass ich zusammenzucke.
Ich schaue ihn verdutzt an. »Was?«
»Wilson! Du hast ihm das von meiner Höhenangst erzählt!«, schreit er mich mit wutverzerrtem Gesicht an. »Als ich in die Schule gekommen bin, hat er mich vor der ganzen Klasse von der Liste gestrichen! Alle haben mich ausgelacht! Du hast mir die schönste Woche meines Lebens versaut!«
Ich muss mich zwingen weiterzuatmen. Das Herz klopft mir zum Zerspringen. »Du warst es?«, stoße ich hervor. »Du hast es gewusst? Von Maya und mir? Du hast es gewusst?«
Er nickt wortlos.
»Mr Whitely, Sie müssen jetzt mit uns kommen!«
Sein Kommentar, dass Maya und ich nun ein ganzes Wochenende für uns hätten, das Geräusch, als wir uns in der Küche küssten … Warum, verdammt noch mal, hat er es uns da nicht an den Kopf geworfen? Warum hat er bis jetzt damit gewartet?
Weil er nicht wollte, dass wir auseinandergerissen werden. Weil er nicht vorhatte, es jemals irgendjemandem zu sagen.
Wie kann ich ihm nur glaubhaft machen, dass ich das nicht gewollt habe? Ich wollte nicht, dass er von der Liste gestrichen wird, ich wollte nicht, dass er vor seinen Freunden gedemütigt wird, ich wollte nicht, dass ihm die erste große Reise seines Lebens verdorben wird, eine ganze Woche endlich fort von zu Hause. Aber die beiden Polizisten haben jetzt keine Geduld mehr, sie stoßen und zerren mich weiter, zum Polizeiauto draußen vor der Haustür. Ich drehe den Kopf und versuche verzweifelt, Kit noch etwas zuzurufen.
Die Nachbarn sind alle herausgekommen, drängen sich um den Polizeiwagen, beobachten, wie ich aus dem Haus zum Auto geführt und auf den Rücksitz gedrückt werde. Der Sicherheitsgurt wird mir umgelegt, die Tür neben mir schlägt zu. Der stämmige Officer setzt sich hinters Steuer, der jüngere nimmt auf dem Rücksitz neben mir Platz. Das Funksprechgerät knistert. Die Nachbarn umschließen das Auto wieder, wie Wasser, das zusammenfließt, beugen sich vor, recken sich, deuten mit dem Finger, ihre Münder öffnen und schließen sich stumm.
Plötzlich stößt etwas gegen die Tür neben mir. Ich drehe den Kopf und sehe Kit, der verzweifelt gegen das Fenster trommelt. Durch das Panzerglas dringen alle Laute nur gedämpft.
»Es tut mir leid!«, schreit er. »Es tut mir leid, Lochie! Es tut mir leid, es tut mir leid! Das hab ich nicht gewollt – ich hab nicht gedacht, dass sie die Polizei rufen würde!« Er heult und schreit, wie ich das bei ihm nicht mehr erlebt habe, seit unser Vater uns verlassen hat. Tränen laufen ihm die Wangen hinunter. Sein Körper wird von heftigen Schluchzern geschüttelt. Wütend und verzweifelt hämmert er gegen das Fenster, wie um mich zu befreien. »Komm zurück!«, schreit er. »Komm zurück!«
Ich will die verriegelte Tür öffnen, will ihm sagen, dass alles in Ordnung ist, dass ich bald zurück sein werde – auch wenn ich weiß, dass das nicht stimmt. Aber mehr als alles andere will ich ihm sagen, dass ich weiß, er wollte das nicht; dass ich weiß, erwar in dem Augenblick, als er Mum anrief, einfach nur wütend und verletzt und bitter enttäuscht. Er soll wissen,
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