Forbidden
Lippe und ihrem tränenüberströmten Gesicht wirkt sie jetzt so malträtiert, dass ich mir sicher bin, keiner würde ihr glauben, selbst wenn sie sich entschließen sollte, die Wahrheit zu sagen. Ihre Augen suchen nach meinen. Ich kann ihr kein letztes tröstendes, aufmunterndes Zeichen geben, nicht unter den aufmerksamen Blicken der Polizisten. Geh, meine Liebste, bitte ich sie mit den Augen. Tu, was ich dir gesagt habe. Tu es für mich. Für uns.
Als sie sich von mir abwendet, fällt ihr Gesicht in sich zusammen. Ich muss dagegen ankämpfen, ihren Namen herauszuschreien.
Kaum ist Maya aus dem Zimmer, stürzen die beiden männlichen Officer auf mich zu. Jeder packt einen meiner Arme, und sie befehlen mir, aufzustehen. Ich folge ihrer Weisung und spanne dabei alle Muskeln an, beiße die Zähne zusammen, damit mein Körper zu zittern aufhört. Der eine Polizist – stämmig, mit einem feisten Gesicht und kleinen Augen – grinst, als sie mich ganz hochgezogen haben, das Laken von mir abfällt und ich nur in den Boxershorts vor ihnen stehe. »Ich glaub, bei dem brauchen wir keine Leibesvisitation zu machen«, höhnt er.
Unten höre ich Maya weinen und rufen: »Was werden sie mit ihm machen? Was werden sie mit ihm machen?«
Eine weibliche Stimme antwortet besänftigend: »Keine Angst. Sie sind jetzt sicher. Er kann Sie nicht mehr verletzen.«
»Haben Sie was zum Anziehen?«, fragt mich der andere Officer. Er wirkt kaum älter als ich. Wie lange er wohl schon bei der Polizei ist? Ob er jemals schon mit einem so widerlichen Verbrechen wie diesem hier zu tun hatte?
»I-in meinem Z-Zimmer …«
Der junge Polizist folgt mir in mein Zimmer und sieht mir zu, wie ich mich anziehe. Sein Funksprechgerät tönt in das Schweigen hinein. Ich spüre seine Blicke im Rücken. Wie er angewidert meinen Körper mustert. Ich finde in der Eile nichts, was frisch gewaschen ist. Aus irgendeinem Grund verspüre ich das Bedürfnis, etwas Frischgewaschenes zu tragen. Nur die Schuluniform hängt bereit. Ich spüre die Ungeduld des Mannes im Türrahmen hinter mir, doch ich habe so verzweifelt und dringend den Wunsch, meinen fast nackten Körper zu bedecken, dass ich nicht mehr richtig denken kann, dass ich mich nicht mehr erinnern kann, wo ich meine Sachen alle verstaut habe. Schließlich ziehe ich hastig ein T-Shirt und Jeans vom Stuhl und schlüpfe mit nackten Füßen in meine Sneakers, das T-Shirt habe ich verkehrt herum an, doch das merke ich erst, als es zu spät ist.
Der stämmige Officer drängt sich in den Raum. Die beiden Polizisten wirken viel zu groß für mein kleines Zimmer. Ich schäme mich für mein ungemachtes Bett, für die Socken und die Unterwäsche auf dem Teppich. Für die abgebrochene Vorhangstange, den alten, abgestoßenen Tisch, die lang schon nicht mehr frisch gestrichenen Wände. Ich schäme mich für alles. Mein Blick fällt auf das kleine Familienfoto, das immer noch über meinem Bett an die Wand geklebt ist, und auf einmal wünschte ich mir, ich könnte es mitnehmen. Etwas, irgendetwas, um mich an sie alle zu erinnern.
Der ältere Polizist stellt mir ein paar einfache Fragen: Name, Geburtsdatum, Nationalität … Meine Stimme zittert immer noch, trotz all meiner Versuche, klar und bestimmt aufzutreten. Je mehr ich versuche, nicht zu stottern, desto schlimmer wird es. Mein Kopf ist plötzlich vollkommen leer. Ich kann mich nicht einmal mehr an mein Geburtsdatum erinnern, und sie starren mich böse an, als würde ich diese Information bewusst zurückhalten wollen. Ich lausche nach unten, ob ich dort noch Mayas Stimme hören kann, aber nichts. Was haben sie mit ihr gemacht? Wohin haben sie sie gebracht?
»Lochan Whitely«, verkündet der Officer in sachlichem Tonfall. »Es liegt gegen Sie die Anschuldigung vor, Ihre sechzehnjährige Schwester missbraucht zu haben. Ich verhafte Sie hiermit wegen Verstoßes gegen Paragraf 25 des Sexual Offences Act. Ihnen wird sexuelle Nötigung eines minderjährigen Familienmitglieds vorgeworfen.«
Die Anklage trifft mich wie ein Faustschlag in die Magengrube. Das macht mich nicht nur zum Vergewaltiger, sondern noch schlimmer: zum Pädophilen. Maya, ein Kind? Das ist sie schon seit vielen Jahren nicht mehr. Aber natürlich, das hatte ich ganz vergessen, ist sie in den Augen des Gesetzes immer noch ein Kind, selbst wenn es nur zwei Wochen bis zu ihrem siebzehnten Geburtstag sind. Und ich bin mit achtzehn ein Erwachsener. Dreizehn Monate trennen uns voneinander. Dreizehn
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