Forbidden
der den ganzen Nachhauseweg nicht neben uns, sondern vor uns geht. Irgendetwas hält mich davon ab, zu ihm aufzuschließen. Tiffin und Willa scheint das nicht zu stören: Sie erzählen mir in einem fort von der neuen Playstation, mit der sie bei Sandra spielen durften. Ich versuche, ihnen beizubringen, dass man mit Fremden nicht mitgehen soll, aber es stellt sich heraus, dass sie Sandra schon gut kennen. Sie hat sie schon öfters abgeholt.
Wir sind kaum zur Tür hereingekommen, als Tiffin und Willaauch schon Mum auf dem Sofa entdecken, die dort immer noch vor sich hin döst. Mit einem Aufschrei stürzen sie sich auf sie, voller Freude, dass sie zur Abwechslung mal zu Hause ist. Ihre Erlebnisse purzeln nur so aus ihnen heraus. Mum nimmt den Waschlappen vom Gesicht, setzt sich auf, lacht und umarmt sie. »Meine kleinen Häschen«, sagte sie. »Habt ihr einen schönen Nachmittag gehabt? Ich hab euch den ganzen Tag so vermisst.«
Ich stehe in der Tür. Die Kante des Türrahmens, gegen den ich mich lehne, schneidet mir in die Schulter. Schweigend beobachte ich die Szene. Tiffin führt Mum mit zwei alten Tennisbällen seine Jonglierkünste vor, und Willa versucht, sie dazu zu überreden, mit ihr Mau-Mau zu spielen. Es dauert einige Zeit, bis ich bemerke, dass Lochan gleich die Treppe hoch verschwunden ist. Plötzlich fühle ich mich ganz erschöpft. Ich wende mich ab und steige wie in Zeitlupe in den ersten Stock hoch. Vom Speicher dröhnt Musik, Kit ist also auch da. Ich gehe in mein Zimmer und schmeiße mich müde aufs Bett.
Ich muss eine ganze Weile geschlafen haben, denn als ich Tiffin »Abendessen!« rufen höre und hochschrecke, füllt blaue Dämmerung den Raum. Ich streiche mir die Haare aus dem Gesicht und tappe benommen die Treppe hinunter.
Die Stimmung in der Küche ist leicht explosiv. Mum hat sich in einen Schmetterling verwandelt – leichter, flatternder Rock, lange flatternde Ärmel und leuchtende Farben. Sie hat geduscht und ihre Haare gewaschen, ganz offensichtlich ist ihr Magen-Darm-Infekt schon wieder ausgestanden. Ihr auffälliges Make-up verrät, dass sie heute Abend nicht hierbleiben wird, um sich einen gemütlichen Fernsehabend zu machen. Sie hat eine Art Eintopf aus weißen Bohnen in Tomatensoße und irgendwelchen Würstengekocht, in dem Kit mit seiner Gabel verächtlich herumstochert. Tiffin und Willa sitzen nebeneinander am Tisch, baumeln mit den Beinen und stoßen sich gegenseitig in die Seite. Ihre Münder sind mit Schokolade verschmiert, die unappetitliche Mischung vor ihnen rühren sie nicht an.
»Das ist kein Essen.« Kit hat den Kopf aufgestützt, blickt angewidert auf seinen Teller und schiebt die Wurstscheiben mit der Gabel hin und her. »Kann ich noch raus?«
»Halt die Klappe und iss!«, fährt Lochan ihn an, der gerade Gläser aus dem Schrank holt. Kit will etwas erwidern, lässt es dann aber bleiben und starrt weiter auf sein Essen. Der ungewöhnlich harte Tonfall von Lochan signalisiert ihm, dass er besser nicht widerspricht.
»Na dann, guten Appetit alle miteinander«, sagt Mum mit einem kleinen nervösen Lachen. »Ich weiß, dass ich keine besonders gute Köchin bin, aber es schmeckt besser, als es aussieht.«
Kit stöhnt auf und brummt etwas Unverständliches. Willa spießt mit ihrer Gabel eine einzelne weiße Bohne auf und führt sie widerwillig an ihren Mund, wo sie sie vorsichtig mit der Zungenspitze ableckt. Tiffin steckt mit Leidensmiene ein Stückchen Wurst in den Mund und verzieht danach das Gesicht, als würde er es gleich wieder ausspucken wollen. Mühsam würgt er es hinunter. Ich schenke allen schnell Wasser ein. Endlich setzt Lochan sich auch hin. Er riecht nach Schule und Schweiß, sein Gesicht ist noch blasser als sonst. Ich bemerke seine verkrampften Kiefermuskeln, den wilden Blick in seinen Augen und spüre die Anspannung, die sein Körper ausstrahlt.
»Gehst du heute Abend wieder aus, Mum?«, fragt Willa, die vorsichtig an ihrem Stück Wurst knabbert.
»Nein, Mum bleibt heute hier«, sagt Lochan, ohne aufzublicken. Unter dem Tisch presse ich mein Bein warnend gegen seines.
Mum dreht sich überrascht zu ihm. »Aber Davey holt mich in einer halben Stunde ab«, protestiert sie. »Keine Sorge, meine Häschen, ich bring euch vorher noch ins Bett.«
»Das sagst du immer«, murmelt Tiffin.
»Ich will aber noch nicht ins Bett«, seufzt Willa und spießt eine zweite weiße Bohne auf.
»Du wirst heute Abend nicht schon wieder ausgehen«, sagt Lochan leise,
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