Forbidden
nicht auf Mum. Du darfst niemals, niemals auf das hören, was sie sagt. Sie ist eine verbitterte, dumme alte Kuh, die nie erwachsen geworden ist. Vor allem aber schämt sie sich nicht für dich. Niemand schämt sich für dich, Lochie. Mein Gott, wie kommst du überhaupt darauf?Wir wissen alle, dass unsere Familie ohne dich auseinanderbrechen würde.«
Er lässt seinen Kopf mutlos nach vorne fallen. Ich habe ihm die Hände auf die Schultern gelegt und spüre, wie verkrampft seine Muskeln sind.
»Aber sie bricht auseinander.«
Ich schüttle ihn. »Das stimmt nicht, Lochan. Willa und Tiffin geht es gut! Mir geht es gut! Kit ist ein total genervter, ganz normaler Teenager. Wir sind alle zusammengeblieben, wir sind eine Familie – obwohl Dad uns verlassen hat und obwohl danach Mums Probleme angefangen haben –, wir sind immer zusammengeblieben. Wir sind nicht vom Jugendamt auseinandergerissen worden, und das verdanken wir allein dir.«
Zwischen uns folgt ein langes Schweigen. Ich sehe seine schwarzen Haare vor mir. Er hat sich leicht vorgebeugt und lehnt sich bei mir an. Ich lege meine Arme um ihn und halte ihn fest umschlungen. Nach einer Weile flüstere ich: »Du bist nicht nur mein Bruder, du bist mein bester Freund.«
Fünftes Kapitel
Lochan
Ich spule die Szene in meinem Kopf während der nächsten Tage wieder und wieder ab. Das hilft mir dabei, alles andere auszublenden – den schlimmen Zwischenfall mit Tiffin und Willa, den Streit mit meiner Mutter, die dauernde Hölle in der Schule. Immer wenn ich es nicht fertigbringe, in der Schule auf eine Frage zu antworten, jeder Augenblick, den ich allein über ein Buch gebeugt dasitze, das alles erinnert mich daran, was meine Familie über mich denkt. Erbärmliche Dinge. Mein Sohn, der verhaltensauffällige Sozialspastiker. Ein Jugendlicher, der keinen Freund hat, geschweige denn eine Freundin. Ich bemühe mich ja – ich bemühe mich wirklich: kleine Schritte, wie den Jungen neben mir in der Klasse nach der Uhrzeit fragen. Er musste sich über den Gang beugen und mich bitten, meine Frage zu wiederholen. Ich kann noch nicht mal selber meine Stimme hören, so leise ist sie. Was ich noch immer nicht völlig begreife, ist, wie ich es geschafft habe, an dem Nachmittag, an dem Tiffin und Willa verschwunden waren, mit der Sekretärin und dem Schulleiter zu reden. Aber das war ein Notfall, und der Horror damals hat wahrscheinlich meine Hemmungen außer Kraft gesetzt. Außerdem fällt es mir leichter, mit Erwachsenen zu sprechen. Bei Jugendlichen in meinem Alter bringe ich kein einziges Wort heraus. Und so wiederhole ich mir ununterbrochen Mayas Worte. Vielleichtgibt es ja doch jemanden, der sich meiner nicht schämt. Vielleicht gibt es wenigstens eine Person in meiner Familie, die ich nicht total enttäuscht habe.
Aber in mir ist immer diese gähnende Leere. Als würde sich eine dunkle Höhle öffnen. Ich fühle mich die ganze Zeit so verdammt einsam. Obwohl ich ständig von anderen Schülern umgeben bin, gibt es eine unsichtbare Wand zwischen uns, und hinter dieser Glaswand schreie ich – schreie ich in mein eigenes Schweigen hinein, schreie ich darum, wahrgenommen, gemocht und geliebt zu werden. Wenn ein freundlich wirkendes Mädchen aus meinem Mathekurs in der Cafeteria auf mich zusteuert und fragt: »Ist hier noch frei?«, nicke ich nur kurz, drehe mich dann weg und hoffe, dass sie mit mir bloß kein Gespräch anfangen will. Und zu Hause fühle ich mich auch einsam. Natürlich ist dort immer was los, aber Kit steckt in einer schwierigen Phase, Tiffin interessiert sich nur für seinen Gameboy und seine Fußballfreunde, und Willa ist süß und nett, aber noch ein Baby. Ich spiele mit den Kleinen Twister und Verstecken, helfe ihnen bei den Hausaufgaben, koche für sie, stecke sie in die Badewanne, lese ihnen Gutenachtgeschichten vor – doch die ganze Zeit muss ich dabei für sie eine fröhliche Miene aufsetzen, wie eine Maske, von der ich fürchte, dass sie irgendwann zerbricht. Nur mit Maya kann ich wirklich ich selbst sein. Wir teilen uns die Last mit der Familie, und sie ist immer auf meiner Seite, ich spüre sie immer neben mir. Ich sträube mich dagegen, sie so notwendig zu brauchen, so von ihr abhängig zu sein, aber es ist nun einmal so, daran kann ich nichts ändern.
In der Nachmittagspause sitze ich wie immer auf meinem üblichen Platz, warte darauf, dass die Zeit vergeht, betrachte dieSonnenstrahlen, die auf die leere Treppe unter mir fallen, als mich
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