Forbidden
bewältigen, ist der Umgang mit Kit. Er raucht jetzt nicht mehr nur heimlich Zigaretten. Im Haus haben wir es ihm wenigstens noch verbieten können, doch nun tut er es vor der Tür oder auf der Straße. Maya hat ruhig mit ihm geredet, ihn auf die Gesundheitsrisiken hingewiesen – und er lacht ihr nur ins Gesicht. Ich bin entschiedener aufgetreten und wollte es ihm ganz verbieten – und bin dafür mit einem Schwall von Schimpfwörtern überschüttet worden. An den Wochenenden treibt er sich mit einer ziemlich üblen Clique von Jungs aus der Schule herum. Ich überrede Mum, mir Geld zu geben, damit ich ihm ein Secondhand-Handy kaufen kann, aber er geht einfach nicht ran, wenn ich anrufe. Ich flehe sie an, ihm vorzuschreiben, wann er abends zu Hause sein muss, aber sie ist viel zu selten da, um das mit Nachdruck durchzusetzen. Und wenn sie da ist, kommt sie erst nach ihm. Ich setze selbst für ihn eine Zeit fest, aber Kit kommt grundsätzlich später, als wäre es ein Zeichen von Schwäche oder gar Kapitulation, pünktlich zu Hause zu sein. Und dann passiert, was irgendwann passieren musste: Eines Nachts kommt er überhaupt nicht mehr.
Um zwei Uhr früh, als ich ihn mehrmals vergeblich zu erreichen versucht habe und immer nur an seine Mailbox weitergeleitet worden bin, rufe ich aus schierer Verzweiflung Mum an. Sie muss irgendwo in einem Club sein – der Lärm im Hintergrund ist ohrenbetäubend: Musik, laute Stimmen, Gelächter. Weil es bereits früher Morgen ist, lallt sie nur noch in den Hörer, und die Tatsache, dass ihr Sohn verschwunden ist, scheint sie nicht zubeunruhigen. Sie lacht und unterbricht unser Gespräch immer wieder, um mit Dave zu reden. Dann erzählt sie mir, dass ich etwas lockerer werden muss; dass Kit jetzt ein junger Mann sei und einfach etwas Spaß haben wolle. Ich setze bereits an, um ihr klarzumachen, dass er vielleicht gerade mit dem Gesicht nach unten irgendwo im Rinnstein liegt, da begreife ich plötzlich, dass ich nur meine Zeit und Energie vergeude. Mit Dave kann Mum so tun, als wäre sie immer noch jung und frei von den Einschränkungen und Verpflichtungen einer Mutter. Sie wollte nie erwachsen werden. Ich erinnere mich daran, wie unser Vater das als einen der Gründe nannte, warum er sie verlassen hat. Er beschuldigte sie, eine schlechte Mutter zu sein. Der einzige Grund, weshalb Dad und sie geheiratet hatten, sagt Mum, sei sowieso nur ihre unerwünschte Schwangerschaft gewesen. Schwanger mit mir – wie sie mir immer wieder vorhält, wenn wir in Streit geraten. Und jetzt, wo ich in ein paar Monaten volljährig bin, fühlt sie sich befreit wie seit Jahren nicht. Dave hat schon eine Familie. Er hat ihr deutlich zu verstehen gegeben, dass er sich keine weitere aufhalsen will. Und deshalb hält sie ihn klug aus allem raus und bringt ihn nur dann mit nach Hause, wenn wir alle schlafen oder in der Schule sind. Mit Dave hat sie sich neu erfunden – mit ihm ist sie wieder eine junge Frau, die eine große, leidenschaftliche Liebe erlebt. Sie kleidet sich wie ein Teenager, gibt ihr ganzes Geld für Klamotten und Kosmetik aus, macht sich jünger, wenn sie nach ihrem Alter gefragt wird, und besäuft sich, um zu vergessen, dass es mit ihrer Jugend und Schönheit vorbei ist, dass Dave sie nie heiraten wird, dass sie eine fünfundvierzigjährige geschiedene Frau in einem beschissenen Job und mit fünf ungewollten Kindern ist.
Inzwischen ist es halb drei, und ich gerate allmählich in Panik.Ich sitze auf dem Sofa, der schwache Lichtschein von der nackten Glühbirne an der Decke fällt direkt auf mein aufgeschlagenes Heft. Schon seit Längerem bemühe ich mich vergebens, meine Aufzeichnungen zu lesen, die hingekritzelten Wörter verschwimmen mir vor den Augen, tanzen über das Blatt. Maya kam vor über einer Stunde, um Gute Nacht zu sagen. Sie hatte tiefe Ringe um die Augen, ihre Sommersprossen stachen noch stärker als sonst von ihrer blassen Haut ab. Ich habe immer noch meine Schuluniform an, das Hemd halb aufgeknöpft, die Ärmel mit den wie immer schmutzigen Manschetten hochgeschoben. Von drinnen in meinem Kopf bohrt sich ein stechender Schmerz durch meine rechte Schläfe. Wieder schaue ich auf die Uhr, und alles in mir verkrampft sich vor Angst und Wut. Ich starre mein gespenstisches Spiegelbild in dem dunklen Fenster an. Ich habe nicht die geringste Ahnung, was ich jetzt tun soll.
Ein Teil von mir möchte das Ganze am liebsten ausblenden – ins Bett gehen und einfach hoffen, dass Kit
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