Forellenquintett
lieber Herr Ingenieur Innertshofer, Barock ist nichts anderes als ein nach außen Gerichtetes, ein Zeigen, das barocke Haus versteht sich als Teil des öffentlichen Raumes, was hier von uns recht eigentlich erst wieder ins Bewusstsein gerückt wird in Form einer sozusagen von innen begehbaren und nach außen, ins Bürgerschaftliche ausstrahlenden Vitrine, einem Guckkasterl ins 18. Jahrhundert, gleich steigt irgendwo der liebe Augustin die Treppen hoch...«
Elke Schnapphorst ließ die Worte an ihrem Ohr vorbeiströmen, vermutlich ergaben sie überhaupt keinen Sinn, aber Scheußl-Swarowski hatte diesen angenehm österreichischen Tonfall, der die Worte durch die Zeit mäandern ließ, dass es auf Sinn oder Unsinn längst nicht mehr ankam. Und überhaupt: Wie viele solcher Präsentationen hatte sie schon erlebt, und in keiner war auch nur ein Wort gefallen, das nicht gelogen gewesen wäre!
Vorsichtig ließ sie ihren Blick über den runden Tisch kreisen, an dem im Sitzungssaal des Aeschenhorner Rathauses die voraussichtlichen Investoren des Aeschenhorn-Centers Platz genommen hatten, die Leute also, die am Marktplatz an Stelle dreier Bürgerhäuser aus dem 17. Jahrhundert einen Komplex aus Läden, Arztpraxen und Büros erstellen wollten, mit Maisonette-Wohnungen anstelle der barocken Giebeldächer, wobei von der alten Bausubstanz nicht nur die Fassaden, sondern auch einige Stuckdecken und die Handläufe der Treppenhäuser für den Neubau übernommen werden sollten, »eine Synthese alter Handwerkskunst mit sensibler Modernität«, wie der Architekt und Planer Franz Anton Scheußl-Swarowski das nannte. Innertshofer, der Bürgermeister, nickte dazu, offenbar wollte er sich den Satz über die Synthese für die Beratungen im Gemeinderat merken. Trotzdem hatte er den Ausdruck abwartender Vorsicht noch nicht aufgegeben.
In Elkes Jackentasche begann das Handy zu vibrieren, sie blickte kurz um sich, niemand achtete auf sie. Sie schlüpfte von ihrem Stuhl, huschte aus dem Sitzungssaal und meldete sich. Die Anruferin war Marlen. Ärgerlich verzog sie das Gesicht. »Du störst.«
»Das ist egal. Ich muss dich sehen.«
»Ich bin in einer sehr wichtigen...«
»Wann bist du wieder zu Hause?«
»Weiß ich doch jetzt noch nicht.«
»Du hast doch mal die Appartements für den Säntisblick verkauft? Wie kommen wir zu einem Hauptschlüssel?«
»Es liegt doch einer bei euch.«
»Weiß ich. Ist aber im Augenblick nicht auffindbar.«
»Ich hab einen. Fahr halt zum Rathaus in Aeschenhorn und geh zum Sitzungssaal rauf. Notfalls rufst du mich dann noch mal an …«
Elke kehrte in den Sitzungssaal zurück und schlüpfte mit einem entschuldigenden Lächeln nach links und rechts wieder auf ihren Platz. Bürgermeister Innertshofer hatte das Wort ergriffen.
»Das ist ja alles sehr schön, sehr überzeugend, das ist Modernität im besten menschlichen Maß«, hörte sie ihn sagen. »Aber selbst das schönste Dach bleibt ein gemaltes, wenn sich nicht alle Bauherren darunter einfinden wollen. Ohne Zustimmung aller Eigentümer, denke ich … oder wie steht es denn damit?«
Er blickte zu Scheußl-Swarowski, und der sah suchend um sich.
Huch, dachte Elke und meldete sich mit einem unauffälligen Handzeichen, da bin ich aber gerade noch zur rechten Zeit zurückgekommen.
»Frau Schnapphorst, bitte«, sagte Scheußl-Swarowski, »sie vertritt die Immobilienabteilung der Vereinigten Sparkassen, die das Placement des Projekts betreuen werden …«
»Sie dürfen davon ausgehen«, sagte Elke und schenkte den Investoren einem nach dem anderen ein strahlendes und jeweils ganz besonderes Lächeln, »dass die hier noch bestehenden Widerstände vielleicht noch nicht ganz aus der Welt sind, aber sehr bald ausgeräumt sein werden.« Schräg gegenüber von ihr saß Franz Georg Kilgus, den man nur als den Kies-Kilgus kannte, ein dicklicher Mensch mit dem starkroten Gesicht des notorischen Hypertonikers. Als ihn ihr Blick traf, schob er die Lippen ganz leicht vor, ganz sicher würde sie in den nächsten Tagen wieder einmal mit ihm schlafen müssen.
»Der Jehle macht mit? Er sammelt doch Unterschriften dagegen …« Das kam, etwas ungläubig, von rechts. Der Zahnarzt oder der Trachten-Kilgus? Nein: der Hotelier vom Seehof.
»Sagen wir so: Ich nehme an, Herr Jehle wird prüfen, ob er eines der Ladenlokale anmieten wird«, antwortete Elke zurückhaltend. »Es ist kein Vertrauensbruch, wenn ich hinzufüge, dass die für Herrn Jehle reservierten Anteile von anderer
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