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Forellenquintett

Titel: Forellenquintett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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Menschen umgebracht haben. Ob das stimmt, wissen wir auch nicht. In die Bundesrepublik kam er Ende der neunziger Jahre. Seither liefert er Ware für Bordelle in Süddeutschland, das heißt, er besorgt die Mädchen und richtet sie ab. Mindestens eine hat das Abrichten nicht überlebt.«
    »Und?«
    »Wir wissen es, aber wir haben es ihm nicht nachweisen können«, antwortete Tamar. »Am Ende hatten wir nur das in der Hand, was Milena ausgesagt hat. Es hat für vier Jahre gereicht.«
    »In Ihrem Land heißt das, in zwei Jahren kann er wieder draußen sein.«
    »Gut möglich. Vorausgesetzt, es kommt nichts dazu.«
    »Vorausgesetzt, es kommt nichts dazu«, echote Jachimczak. »Die Leute, die hier zu Besuch waren« - er deutete nach oben, dorthin, wo man Hannah Thalmanns Atelier vermuten mochte -, »diese Leute haben ihm womöglich gar keinen Gefallen getan?«
    »Vielleicht hatten sie es auch gar nicht vor«, sagte Tamar.
    »Ah ja«, meinte Jachimczak. Die blonde Bedienung kam, Jachimczak blickte fragend zu Tamar. Sie nickte.
     
     
     
    D r. Marielouise Capotta löste die Augen von dem Vortragstext, an dem sie gerade eine halbe Stunde hatte arbeiten können, und betrachtete den Kriminalbeamten, der vor ihrem Schreibtisch auf dem Besucherstuhl saß, ein Mann in kariertem Zivil, der ihren Blick ungerührt und misstrauisch zurückgab.
    »Also«, fasste sie zusammen, »Sie wissen weder, wer unser Patient ist, noch, was Sie ihm vorwerfen wollen. Und wer ihn so zugerichtet hat, dass Sie ihn ins Krankenhaus haben bringen müssen, das wissen Sie erst recht nicht. Welche Ihrer unerledigten Hausaufgaben sollen wir noch übernehmen?«
    »Der Mann ist mit Rauschgift in Berührung gekommen«, sagte der Polizist störrisch, »mit Methamphetamin, aus polnischen Labors vermutlich...«
    »Vermutlich! In Berührung gekommen!«, echote Dr. Capotta. »In welcher Menge? Über welchen Zeitraum hinweg? Nun?«
    »Es gibt Informationen…«, hob der Beamte an, aber Dr. Capotta fiel ihm ins Wort.
    »Informationen, wie niedlich! Haben Sie es nicht etwas kleiner? Wer, bitte, ist unser Patient? Und wer hat ihn zusammengeschlagen?«
    »Sie wollen nicht kooperieren«, antwortete der Mann, plötzlich müde und resigniert.
    Dr. Marielouise Capotta unterdrückte den Wutanfall, den sie in sich aufsteigen spürte. »Ich bin kein Hilfsorgan der Justiz«, sagte sie mit bemüht leiser, bemüht deutlicher Stimme. »Ich habe einen traumatisierten Patienten, und ich glaube nicht, dass es richtig wäre, ihn mit völlig nebulösen Verdächtigungen zu konfrontieren.« Sie lächelte und stand auf. »Nein, es wäre nicht richtig, und also findet es auch nicht statt. Geben Sie mir Ihre Karte, für den Fall, dass eine Kommunikation mit unserem Patienten möglich wird und er bereit sein sollte, mit Ihnen in eine solche zu treten.«
    Der Beamte kramte eine Visitenkarte hervor und reichte sie ihr zögernd, als wollte er noch eine Bemerkung anbringen. Aber dann ließ er es doch bleiben und verabschiedete sich mit einer angedeuteten Verbeugung.
    Die Ärztin sah ihm nach. In ihrem Kopf regte sich ein leiser Selbstzweifel. Ein wenig harsch war sie gewesen, ja doch. Aber schließlich war es schon lange keine Bürgerpflicht mehr, Polizisten zu mögen. Ihre eigene Generation war es gewesen, die das herausgefunden hatte.
    Sie wandte sich wieder dem Entwurf für ihren Vortrag zu, den sie in drei Tagen in München würde halten müssen. Sie war mit dem Text nicht zufrieden, sie hatte keine spektakulären Erfolge vorzuweisen, ihr Fachgebiet gab das nicht her, jedenfalls war da nichts, von dem man sagen konnte, das ist so und nicht anders. Irgendwo spielte jemand Klavier, sie stand auf und ging zum Fenster, das gekippt war, und schloss es dann doch nicht, sondern blieb stehen und sah zum Park und den Bäumen hinaus, zwischen deren Zweige spätes Sonnenlicht fiel. Natürlich spielte der Klavierspieler nicht irgendwo, sondern im Musikraum, aber es hörte sich nicht nach dem Musiktherapeuten an und auch sonst nach niemandem, den sie kannte.
    Dieser Einfall, dass man Polizisten nicht mögen muss, erschien ihr plötzlich ein wenig peinlich. Jedenfalls war es keine Entschuldigung dafür, dass sie diesen überforderten kriminalistischen Pflastertreter derart abgekanzelt hatte. Was hatte sie da angeflogen und warum?... Der Klavierspieler paraphrasierte eine Melodie, die sie kannte, sie kam nicht darauf, was es war, irgendetwas von früher, als Lucies Steine noch funkelten, plötzlich wusste

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