Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Forellenquintett

Titel: Forellenquintett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
Vom Netzwerk:
Stelle wieder zurückgeben wollen. Aber sie betrachtete es mit einem ruhigen, fast professionellen Interesse.
    »Das ist sie«, sagte Hannah, »Milena, meine ich. In meiner Badewanne.« Sie sah zu Tamar hoch. »Ich weiß, wie eine Frau aussieht, die man umgebracht hat, aber diesen abgeschnittenen Hals da - den sollten sie im Fernsehen zeigen, findest du nicht?«
    »Sag mir erst, was Milena anhat.«
    »Schwer zu sagen.« Sie hielt das Foto näher an den Spiegel, wo das Licht greller war. »Es ist alles voll Blut, und das Blut ist geronnen und schwarz...«
    »Was trägt diese Frau?«
    »Was soll Milena da tragen? Einen Blouson, meinen alten, sicher doch, ich hab ihn ihr geschenkt. Es ist aber gar kein richtiges Leopardenfell, es ist ein Imitat, das siehst du doch.«

Donnerstag, 6. Oktober
    D ie Turmuhr von St. Jodok hatte sechs geschlagen, es klang, als hätte der Nebel die Schwingungen der Glocke durch den frühen Morgen getragen, gedämpft und doch durchdringend. Die Ritzen der Jalousie - die sich zunächst nur undeutlich und kaum wahrnehmbar gegen das Dunkel des Schlafzimmers abgezeichnet hatten - begannen ein rechteckiges Muster von Lichtzeilen zu bilden, die sich in einem stumpfen Winkel auf der Schrankwand fortsetzten. Es sieht aus wie ein aufgeschlagenes Buch, dachte Martin Jehle, aber ich kann es nicht lesen. Draußen fuhr ein Mopedfahrer über den Marktplatz, das Moped hatte einen kaputten Auspuff und war so langsam, als lege es der Fahrer darauf an, das ganze Städtchen gegen sich aufzubringen.
    Hundegekläff antwortete und drang durch die Mauern, um abrupt wieder abzubrechen, wie durch einen gezielten Wurf - Pantoffel? Wecker? - zum Schweigen gebracht. Endlich war auch der Mopedfahrer über den Platz geknattert, eine Weile war nun Ruhe, bis aus der Gegenrichtung ein Wagen mit einem schlecht gefederten Anhänger über das Kopfsteinpflaster holperte.
    Das Licht, das durch die Jalousie drang, hatte inzwischen die Umrisse der Möbel im Schlafzimmer hervortreten lassen, die Bettkante am Fußende, den kleinen Toilettentisch. Trotzdem war es nur ein diffuses, ein schwächliches Licht, also war es draußen bedeckt. Kein strahlender Spätsommermorgen, und bedeckt würde es auch bleiben, hatte der Wetterbericht angekündigt, ohnehin war die Saison schon vorbei. Wieder näherte sich ein Wagen, wurde langsamer und hielt bei laufendem Dieselmotor. Eine Tür öffnete sich, eine zweite wurde aufgeschoben, ein Paket plumpste vor den Laden, dann ein zweites, die Wagentür schloss sich wieder, der Wagen fuhr an, man hörte ihn noch eine Weile, bis er den Bereich des Kopfsteinpflasters verließ.
    Jeden Morgen ging das so, die Feiertage ausgenommen, und ohne dass er je einen Wecker gebraucht hätte, erwachte Martin Jehle ein paar Minuten oder Atemzüge, bevor der Wagen kam. Heute war Donnerstag, denn es war ein zweites Paket gekommen, das mit den Illustrierten und Magazinen.
    Er richtete sich auf und blieb einen Augenblick so sitzen. Das Bett neben ihm war leer, die Decke zurückgeschlagen. Er schwang die Beine auf den Boden, stand auf und zog den Trainingsanzug an, den er sich am Abend zuvor bereitgelegt hatte. Dann verließ er das Schlafzimmer, ging die Treppe hinunter und durch den Laden zur Tür, die er aufschloss, um dann den Rollladen hochzuziehen.
    Es war kühl draußen, die Platanen auf dem Marktplatz verloren die ersten gelben Blätter, vom See her kam eine Brise und mit ihr der Geruch nach Herbst und ein wenig auch nach Moder. Vor dem »Seehof« wartete ein Taxi auf frühe Reisende, drüben im Stift brannten schon Lichter in den Zimmern, warum konnten sie die alten Leute nicht ausschlafen lassen? Aber vermutlich war es gerade andersherum. Wahrscheinlich waren die Alten gottfroh, dass die Nacht vorbei war, die endlosen Stunden, in denen sie nach der Nachtschwester besser nicht klingelten.
    Ein Radfahrer, in einen schwarzen Lodenanorak eingemummt, fuhr vorbei und hob grüßend die Hand. Jehle erwiderte den Gruß, der Radfahrer machte einen Bogen um die Ausstellungsvitrinen der Alten Komturei, stoppte vor dem Trachtengeschäft im übernächsten Haus und schwang sich mit einer fast graziösen Bewegung vom Rad. Dann bückte er sich und löste sorgsam die Klammern von seiner schwarzen gebügelten Anzughose. Ein Pick-up, ein Kleinlastwagen, weiß lackiert und glänzend, als komme er frisch vom Band, näherte sich und hielt. Ein großgewachsener, braungebrannter Mann in einer grünen Windbluse, die Jeans in Gummistiefel

Weitere Kostenlose Bücher