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Forellenquintett

Titel: Forellenquintett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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gesteckt, öffnete die Wagentür und sprang auf das Pflaster.
    Was will der junge Hoflach so früh?, dachte Jehle. Mit Arbeit wird das doch nichts zu tun haben... Na ja, und jung war er auch nicht mehr. Der war nun auch schon an die dreißig oder darüber hinaus, und die hohe Stirn hatte er nicht vom Denken.
    »Morgen, Martin«, grüßte Hoflach, »kannst du mir grad das Lügenblatt raussuchen? Zu mehr reicht es einem doch nicht.«
    Jehle nickte und trug den Zeitungspacken in den Laden, wo er die Plastikschnüre, die den Packen zusammenhielten, mit einer Schere aufschnitt.
    »So früh unterwegs?«
    »Ich will heut zum oberen Schwedentobel«, sagte Hoflach, der ihm in den Laden gefolgt war.
    »Ja so«, antwortete Jehle und reichte ihm die Zeitung.
    »Seit letztem Jahr haben wir dort ein Wasser gepachtet, sehr schöne Forellen, ich bring dir gern...«
    »Unterhalb der Kläranlage?«
    »Was du nur immer hast«, antwortete Hoflach und zählte die Münzen für die Zeitung ab. »Die arbeitet einwandfrei.« Die Münzen reichten nicht, und Hoflach kramte aus seiner Windbluse einen Zwanzig-Euro-Schein heraus.
    Jehle machte eine abwehrende Handbewegung, »Ich hab die Kasse noch nicht auf. Zahl ein anderes Mal. Aber nicht mit einem Fisch.«
    »Schon gut, ich mag ja auch keinen.« Er schaute Jehle an und grinste. »Mir geht’s auch nur um das Angeln. Ob ich so einen Kerl erwisch oder nicht.« Er steckte den Schein in die Brieftasche zurück und holte dafür eine bunt bedruckte Plastikkarte heraus. »Aber das hier darfst du mir nicht ablehnen. Der VIP-Chip für mein neues Wasch-Center, draußen an der Brücke, vor vierzehn Tagen eröffnet, du hast doch auch eine Einladung bekommen...«
    Jehle zögerte. »Für was für Leute ist das, hast du gesagt?«
    »Das darfst du nicht so eng sehen«, meinte Hoflach. »Mein Eröffnungsangebot. Die erste Wagenwäsche geht aufs Haus, wenn du zufrieden bist, kannst den Chip selbst aufladen, du zahlst dann zehn für zwölf...«
    Jehle drehte die Karte in der Hand.
    »Alles ganz unverbindlich«, schloss Hoflach, hob grüßend die zusammengefaltete Zeitung und ging. Jehle blieb einen Augenblick stehen, dann folgte er ihm bis zur Tür und sah zu, wie Hoflach in den Pick-up kletterte und wegfuhr. Als er die Türe wieder abschließen wollte, merkte er, dass er noch immer das Stück Plastik in der Hand hielt. Er schloss ab, ging zum Tresen zurück und steckte die Karte unter den Glasteller für das Wechselgeld, neben der Unterschriftenliste gegen das von der Gemeinde geplante Aeschen-Center. Hoflach hatte noch nicht einmal einen Blick darauf geworfen.
    Weil der Packen schon aufgeschnitten war, ordnete er die Zeitungen in den Verkaufsständer ein und nahm sich selbst einen »Express« heraus. Von draußen hörte er das rostige Kreischen der Gartenpforte. Er blätterte die Zeitung durch, sein Blick blieb an einem kurzen Artikel auf der dritten Seite hängen, den er mit zusammengekniffenen Augen las, weil er seine Lesebrille oben gelassen hatte. In Berlin war ein Mann aufgegriffen worden, verletzt, ohne Gedächtnis und ohne Papiere, jemand, der sonst nichts sagte, kein Wort, und auf nichts reagierte. Aber er spielte Klavier, immerhin das. Jehle ließ die Zeitung sinken. Vom Flur her hörte er Schritte, Elisabeth war vom Bäcker zurück.
    Er faltete die Zeitung wieder zusammen und ging in den Flur. Seine Frau löste gerade das Kopftuch, das sie sich gegen den Fahrtwind umgebunden hatte, und schüttelte ihre Haare zurecht. Sie waren noch immer blond, ein bisschen weißer vielleicht als früher. Auf der Kommode neben dem Garderobenspiegel war ein Korb mit Herbstblumen abgestellt. Sie warf ihm einen verwunderten Blick zu.
    »Wie siehst du denn aus?«
    »Ist das eine Begrüßung?«, fragte er zurück.
    »War was?«
    »Was soll schon gewesen sein, so früh am Morgen! Schöne Blumen hast du da, aber hätten wir die nicht auch heute Nachmittag holen können?«
    »Ach!«, antwortete sie und reckte ein wenig das Kinn, »ich wollte aber jetzt schon welche... Magst ein Rührei zum Frühstück?«
    Jehle meinte, das sei ihm recht, und ging nach oben, in die Wohnung, um zu duschen. Die Zeitung legte er auf den bereits gedeckten Frühstückstisch, neben die Vase mit den Astern und Zinnien und Dahlien in den späten, unerfüllten Farben des Herbstes, ein Rot, ins Orange züngelnd, ein verirrtes ungesättigtes Blau. Die Blumen waren noch nicht welk, Jehle bemerkte es mit dem gleichen Unbehagen, das ihn schon seit seinem

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