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Forellenquintett

Titel: Forellenquintett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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oder schnauzbärtiger Dandys aus einer Zeit, in der das Jahr 1939 noch sehr weit in der Zukunft gelegen hatte. Eine lebenspralle Schöne, langbeinig und blond, brachte die beiden Biere und warf einen prüfenden oder zweifelnden Blick auf das Paar, dem sie vielleicht doch den Beruf ansah. Die Polizeibeamten Pawel Jachimczak und Tamar Wegenast störte es nicht, sie prosteten sich mit erhobenen Gläsern zu und tranken, das Bier schmeckte frisch und herb. Tamar nahm einen großen Schluck und wischte sich dann mit dem Handrücken den Mund ab, ganz konnte das Bier die Erinnerung an den Geruch da oben im Badezimmer nicht vertreiben. Behutsam stellte sie das Glas wieder auf das Tischchen ab, dessen Glasplatte gesprungen war, und ließ sich noch behutsamer in ihren Plüschsessel zurücksinken, denn die Zeit oder die unerfüllte Liebe zu einer der Schönen an der Wand hatte dem Sesselchen die Sprungfedern gebrochen. Sie betrachtete Jachimczak, der von dem Tischchen einen grauweißen, auf Recycling-Papier gedruckten Prospekt genommen hatte und ihn sich ansah.
    »Unten im Keller ist ein Jazzclub«, sagte er erklärend, »manchmal gastieren recht interessante Bands, nächste Woche kommt eine aus St. Germain-des-Prés... mögen Sie Jazz?«
    Tamar hasste solche Fragen. »Sie sagten vorhin, dass es zwei gewesen seien. Zwei Täter. Geht das aus den Spuren hervor, oder haben Sie Zeugen?«
    »Da drüben«, antwortete Jachimczak gelangweilt und deutete auf den kleinen Platz vor dem Café, »da drüben gibt es einen Stand mit Ikonen, ukrainischen Ikonen. Wir fragen den Händler nicht, wo er sie her hat. Dafür erzählt er uns, was es sonst so zu erzählen gibt. Am Montagabend hat er zwei Männer gesehen, die nebenan in das Haus gegangen sind. Gegen 21 Uhr sei das gewesen.«
    Tamar nickte. Sie hatte nicht vergessen, dass Milena an jenem Abend umgebracht worden war, irgendwann zwischen 19 und 22 Uhr.
    »Schreibt er solche Dinge auf?«
    »Nein.« Jachimczak betrachtete, fast träumerisch, sein Bierglas. »Aber er sagt, er sei dabei gewesen, seinen Stand zu schließen. Dagegen ist nichts zu sagen. Er schließt immer um diese Zeit.«
    »Und warum sind ihm diese Männer aufgefallen?«
    »Er sagt, es seien keine Polen gewesen.«
    »Sondern?«, fragte Tamar, obwohl sie die Antwort bereits wusste.
    »Er sagt, es waren Deutsche.«
    »Woran hat er das erkannt?«
    Er hob die Hand und ließ sie wieder fallen. »Woran erkennen Sie bei sich zu Hause einen Amerikaner? Oder in Baden-Baden einen Russen? Der muss gar nicht den Mund aufmachen, Sie sehen ihn und wissen es... Unser Mann sagt, die beiden hätten ziemlich teure Lederkluft getragen, wie sie sonst nur Leute haben aus einer dieser deutschen Motorrad-Gangs. Einer trug eine große schwarze Umhängetasche.« Er verzog ein wenig das Gesicht.
    Klar doch, dachte Tamar und hob die Augenbrauen. Eine Tasche für die Gummistiefel und auch für das andere. Für das, was sie mitgenommen haben.
    »Hat Ihr Mann eine konkrete Beschreibung geben können?« Was störte sie daran, dass es zwei Deutsche waren? Ein paar angerissene Takte eines alten Popsongs kamen ihr in den Sinn: Nothing is like it seems to be...
    »Von dem mit der Umhängetasche haben wir sogar ein Phantombild machen können«, antwortete Jachimczak. »Er hat sich umgesehen, während der andere die Tür aufschloss.« Er griff in seine Jackentasche, holte seine Brieftasche heraus und entnahm ihr einen Abzug.
    Das Phantombild zeigte den Kopf eines jüngeren breithalsigen Mannes im Halbprofil, mit eng stehenden Augen und kurzem, gescheiteltem Haar, über den Ohren ausrasiert, das Gesicht aufgeschwemmt. »Der Mann soll etwas über ein Meter achtzig groß sein und ziemlich dick für sein Alter«, fügte Jachimczak hinzu.
    »Der andere, der die Tür aufschloss, hat dazu einen Dietrich benutzt?«
    Jachimczak sah hoch. »Sie meinen - sonst hätte sich der mit der Tasche nicht umgesehen, ob sie beobachtet werden? Vermutlich haben Sie Recht.«
    »Und trotzdem hat er nicht gemerkt, dass er Ihrem Mann aufgefallen war?«
    »Unser Mann hat das eine oder andere Talent. Eines davon ist... er sieht Ihnen zu, und Sie merken es nicht.«
    »Ich hoffe für Ihren Mann, dass die beiden das auch nicht getan haben«, bemerkte Tamar. Auf Jachimczaks Stirn tauchte eine Falte auf. Vorsicht!, dachte Tamar. Ich sollte ihm nicht dreinreden, wie er mit seinen V-Leuten umgeht.
    »Ist das eigentlich neu, dass unsere Gangs bei Ihnen auftauchen?«
    »Neu ist es nicht«, antwortete

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