Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Forellenquintett

Titel: Forellenquintett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
Vom Netzwerk:
der Trittbretter zu der Badewanne. An deren Rand sah sie zwischen Schmierspuren den Abdruck einer Hand. Die Hand war klein und kurzfingrig gewesen. Der Abfluss musste verstopft sein oder zu hoch liegen, denn auf dem Boden der Wanne stand eine schwarze geklumpte Lache.
    »Sie waren zu zweit«, sagte Jachimczak, der an der Tür stehen geblieben war, »und sie haben Gummistiefel über den Schuhen getragen. Als sie fertig waren, haben sie die Stiefel ausgezogen. Ganz einfach.«
    Tamar warf einen Blick auf den Waschtisch und in den Spiegelschrank darüber, ein paar Medikamente, darunter ein Antidepressivum, ein paar billige Kosmetika. Die Kosmetika gehörten wohl Milena, aber wer zum Teufel hatte das Antidepressivum genommen? Es waren Tabletten, in Folie eingeschweißt, und ungefähr ein Drittel davon war verbraucht.
    »Ist etwas seltsam?«
    Tamar schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht.« Sie legte das Medikament zurück und drehte sich vorsichtig auf dem Trittbrett um.
    »Ich könnte jetzt ein Bier vertragen«, meinte Jachimczak. »Sie vielleicht auch? Oder einen Kognak? Unten ist ein Café.«
    »Keinen Kognak«, antwortete Tamar.
     
     
     
    S olveig war mager, hatte lange, dunkle, strähnige Haare und trug eine Brille, die so groß war, dass sich dahinter zwei Frauen hätten verstecken können. Vor ihr stand ein Xylophon, auf dem sie den immer gleichen Ton anschlug, ein zweigestrichenes C, im immer gleichen Abstand. Der Mann, der im Kreis neben ihr saß und den man Andreas nannte, war sich sicher, dass sie das Zeitmaß auf den Bruchteil einer Sekunde exakt einhielt. Man hatte ihn vor ein zweites Xylophon gesetzt, das etwas kleiner war, und ihm zwei Klöppel in die Hand gedrückt.
    »Hören Sie das?«, fragte der Therapeut und beugte sich zu ihm. »Das ist ein C... Vielleicht finden Sie einen Ton, der dazu passt?«
    »Der versteht Sie nicht«, warf Hühnlein ein. Die Frau schlug ihr C, und Hühnlein antwortete auf seinem Glockenspiel mit einem etwas schrillen Fis. »Sie müssen es ihm zeigen. Dann tut er es vielleicht.«
    Der Therapeut schob sich die Brille zurück, die ihm auf die Nase gerutscht war, nahm Andreas einen Klöppel ab und antwortete auf das nächste C mit einem zarten A.
    Er drückte Andreas den Klöppel wieder in die Hand und nickte ihm zu, als wieder das zweigestrichene C kam. Gehorsam tippte Andreas das Xylophon an und traf auch richtig ein A. Die zweite Frau, die an der Therapiestunde teilnahm, lächelte und schlug auf ihrer Trommel einen kurzen furiosen Wirbel. Sie war dicker als die Frau am ersten Xylophon und hieß Margot. Margot sah aus wie eine Verkäuferin in einem Wasserhäuschen am Eschenheimer Turm, bei der Andreas das eine oder andere Mal hatte anschreiben lassen können.
    »Das lässt sich ja ganz gut an«, meinte der Therapeut und kehrte an das Klavier zurück. Er setzte sich auf seinen Stuhl. »Wir versuchen jetzt, aufeinander zu hören und einander zu antworten. Das erste Xylophon gibt den Ton vor.«
    Aber statt des C von Solveig erklang das sirrende Signal eines Mobiltelefons. Der Therapeut stand hastig auf, holte ein Handy aus der Tasche seines weißen Mantels und wandte sich an Hühnlein. »Es dauert nicht lang, aber vielleicht setzen Sie sich solange ans Klavier und improvisieren etwas.«
    Hühnlein sah sich um, mit einem Blick, den Andreas nicht deuten konnte. Der Therapeut ging zur Tür und meldete sich mit einem besorgten knappen »Ja?«. Er öffnete die Tür, und man hörte ihn noch sagen: »Aber du sollst doch nicht...«
    Der junge Mann, der links am Ende des Halbkreises saß, legte seine beiden Klanghölzer zur Seite und glitt mit geräuschlosen Schritten zur Tür, die sich hinter dem Therapeuten geschlossen hatte, und horchte.
    »Es ist wieder sie«, teilte er mit.
    »Das dauert«, meinte Margot, die Frau mit der Handtrommel.
    »Dann wollen wir mal«, meinte Hühnlein und stand schwerfällig auf.
    »Nein, nicht du«, protestierte Margot. »Nicht schon wieder Flohwalzer. Der Neue soll spielen.«
    Solveig schlug ein zweigestrichenes C.
    Margot blickte aufmunternd zu Andreas, der freundlich zurücklächelte, aber nicht reagierte. Daraufhin stand sie auf, nahm ihn an der Hand, führte ihn vor das Klavier und setzte ihn mit sanftem Druck auf den Stuhl.
    »Spiel irgendwas«, sagte sie.
     
    S ie hatten sich eine stille Ecke am Fenster ausgesucht, draußen sah man die Stände eines Trödelmarktes, an der Wand hinter ihnen hingen die gerahmten Fotografien glutäugiger Sängerinnen

Weitere Kostenlose Bücher