Forellenquintett
nicht zuhören, da macht er sofort den Deckel zu.«
Die Polizistin hatte zu Ende gelesen. Ihr Gesicht wirkte angespannt und blass. Aber das war sie schon vorher gewesen.
»Es ist so«, begann Jehle. »Dieser junge Mann da in Berlin ist um die dreißig Jahre alt, nicht wahr?«
»So steht es hier.«
»Es ist jetzt siebzehn Jahre her, dass unser Sohn Bastian verschwunden ist. Er war damals dreizehn.« Und, nach einer Pause: »Als er zuletzt gesehen worden ist, kam er vom Klavierunterricht.«
»Ich weiß«, antwortete die Polizistin. »Sehr gut weiß ich das. Wussten Sie nicht, dass wir befreundet waren, der Bastian und ich?«
D er Monteur war kurz vor Mittag gekommen und hatte die ganze Anlage gecheckt, natürlich hatte er nichts gefunden. Es ist das Wesen eines Kundendienstes, nichts zu finden, jedenfalls nichts, was zu Lasten des Herstellers gehen würde. Schließlich war ihm eine letzte mögliche Erklärung eingefallen.
»Hat Ihr Kunde mit dem Handy telefoniert?«, hatte er wissen wollen. »Vielleicht auch eine SMS geschickt oder bekommen? So etwas kann nämlich die ganze Elektronik durcheinanderbringen.«
Hoflach hatte zurückgefragt, ob der Monteur glaube, dass er bei seinem Kunden im Wagen gesessen sei, aber dann hatte die Sache damit geendet, dass ihm der Monteur eine neuartige Handysicherung einbaute, ein Gerät, das die gängigen Modelle von Mobiltelefonen automatisch ausschaltete, sobald sie sich innerhalb der Waschanlage befanden. Schließlich hatten sie die Anlage wieder hochgefahren, und als sie lief, brauchte Hoflach erst einmal ein Bier und ging ins Alte Schulhaus. Die Lust aufs Angeln war ihm vergangen.
Am Stammtisch hockte eine Runde Bauarbeiter, Leute vom Kies-Kilgus. Er kannte den Polier und hob grüßend die Hand.
»Welche Straße habt ihr jetzt schon wieder aufgerissen?«
»Keine Straße«, kam die Antwort, »nur den Weg da draußen. Der kriegt ein neues Fundament und eine Asphaltdecke.«
»Was ein Glück«, sagte Hoflach, »dass sich immer noch irgendwo ein Weglein findet, das noch nicht asphaltiert ist! Im Rathaus wüssten sie sonst nicht, wohin mit dem Geld.«
Hoflach nahm zwei Tische weiter Platz, an einem Fenster, das zum Schulhausgarten hinausging. Als Paula, die Wirtin, zu ihm kam, bestellte er ein Weizenbier und Weißwürste, obwohl es für die Weißwürste fast schon zu spät war. Er schlug den »Express« auf und sah die Bekanntschaftsanzeigen durch, aber es schien nicht viel Neues hereingekommen zu sein, jedenfalls nicht hier in der Region. Die Wirtin brachte sein Weizenbier, er nahm einen ersten Schluck und blätterte weiter. Die Kanzlerin hatte einen neuen Friseur. Sicher kein Fehler. Aber wäre ein neuer Schneider nicht dringlicher gewesen?
Er nahm einen weiteren Schluck. Eigentlich stand in dieser Zeitung überhaupt nichts. Waren das vielleicht Weltnachrichten, dass da einer behauptete, er verstünde nur Bahnhof? Wenn jeder, der lieber vergessen will, wer er ist und wo er herkommt und wem er noch alles Geld schuldet, wenn also jeder dieser Gedächtniskünstler in die Zeitung kommen wollte, hätten sie dort viel zu schreiben... Plötzlich kam ihm ein Gedanke, und er griff zum Glas, um nachzuspülen, das war nämlich auch ein Weg, um ins Nachdenken zu kommen.
»Das glaubst du nicht«, sagte eine Stimme an seinem Tisch, »wie lang so ein Kerl in dieser Zeitung mit den großen Buchstaben lesen kann.«
Hoflach sah auf. Eine Frau in einem hellen Mantel und mit kurzen blonden Haaren war an seinen Tisch getreten, keine Anmache, in diesem Fall wirklich nicht, denn natürlich kannte er die Frau, seit ewigen Zeiten war ihm diese bestimmte Art vertraut, den Kopf hoch zu halten, den Kopf, der vor drei Tagen noch kastanienrot gewesen war.
»Die Elke!«, sagte er. »Du wechselst die Haarfarbe schneller als den BH, was?«
»Weißt du«, fragte die Elke und schlüpfte aus ihrem hellen Popelinemantel, »wer die schlimmsten Langweiler sind? Die, die witzig sein wollen.« Sie hängte den Mantel über die Stuhllehne und setzte sich ihm gegenüber. »Was tust du eigentlich hier, und vor allem in diesem merkwürdigen Kostüm? Du siehst aus, als ob du Hamster totschießen willst oder andere arme Tiere.«
»Ich muss ja auch keine alten windschiefen Bauernhäuser an Ludwigsburger Zahnärzte verkaufen«, antwortete er. »Aber ich kann dir gern erzählen, was einen ehrlichen Angler wie mich in diese Kaschemme verschlagen hat... Soll ich?«
»Leider verkaufe ich keine
Weitere Kostenlose Bücher