Forellenquintett
sicher, sie strahlt etwas Besonderes aus, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Kann schon sein«, antwortete Tamar, holte ein weiteres Blatt aus ihrer Mappe und behielt es zunächst in der Hand. »Aber gesprochen haben Sie nicht mit ihr?«
Tabea schüttelte den Kopf. »Später habe ich sie noch in der Bar gesehen. Aber sie sah nicht so aus, als ob sie auf Gesellschaft aus wäre.«
Tamar reichte ihr das Phantombild, das die Krakauer Kriminalpolizei angefertigt hatte. »Haben Sie diesen Mann schon einmal gesehen?«
Tabea Tausendblum nahm den Abzug, etwas widerstrebend, und hob angewidert den Kopf. »Also nein«, sagte sie, »was glauben Sie eigentlich, was für einen Umgang ich habe?«
»Nie gesehen? Auch nicht in Krakau?«
»Ist das ein Pole? Da sind ziemlich viele Polen dort, das müssten Sie eigentlich wissen.«
»Die polnische Kriminalpolizei hält ihn für einen Deutschen«, antwortete Tamar.
»So?« Sie reichte das Phantombild zurück. »Warum zeigen Sie mir überhaupt all diese Fotos?«
Schweigend hielt ihr Tamar ein viertes Bild hin.
»O Gott«, sagte die Sängerin, »so etwas will ich nicht sehen.«
Dann nahm sie es doch. Es war das Foto, das die Kriminalpolizei von dem abgetrennten Kopf der Milena Kwiatkowski gemacht hatte. Sie sagte nichts.
Tamar sah ihr zu. Tabeas Gesicht veränderte sich. Ihre Augen wurden schmal.
Sie rechnet, dachte Tamar.
Plötzlich hob die Sängerin den Kopf und sah ihr ins Gesicht.
»Wir haben ein Problem.«
»Ja?«, fragte Tamar.
»Sie ermitteln in einem Mordfall«, fuhr die andere fort. »Ganz offenkundig tun Sie das. Und ich hab Ärger wegen ein paar Krümel Dope. Also, warum sollte ich Ihnen helfen?«
Ein Verhandlungsangebot? Tamar schüttelte den Kopf. »Hilfe gibt es nicht.«
»Dann gibt es auch keine Antworten.«
»Doch«, sagte Tamar. Sie zeigte auf das Foto aus Kattowitz. »Sie werden mir antworten, denn Sie und dieser Frauenkopf haben etwas gemeinsam: Sie haben den gleichen Weg genommen. Am 25. September, einem Sonntag, hatten Sie Ihren letzten Auftritt in dem Jazzkeller in Krakau. Am nächsten Tag sind Sie nach Deutschland zurückgefahren, am 26. September also, über die Autobahn nach Görlitz, und das weiß ich deshalb, weil Sie dann in der Nacht zum 27. September zwischen Görlitz und Dresden auf der Autobahn von meinen Kollegen angehalten worden sind. Vorher aber müssen Sie durch Kattowitz gekommen sein, erinnern Sie sich nicht?«
Tabea schwieg.
»Oder wollen Sie sich nicht erinnern? Denn zur gleichen Zeit, zwischen dem 25. und 27. September, ist dieser Kopf da ebenfalls von Krakau aus nach Kattowitz gebracht worden, und nicht einfach nur von Krakau aus, sondern aus einer Wohnung, die drei oder vier Etagen über genau diesem Jazzkeller liegt, in dem Sie aufgetreten sind, und das weiß ich, weil der Körper, der zu diesem Kopf gehört, dort zurückgeblieben ist...«
»Hören Sie auf«, sagte Tabea leise. »Sie bemühen sich an einem ungeeigneten Objekt. Ihre Kollegen haben mir einen Crashkurs in Sachen starker Staat verpasst, da können Sie mir jetzt noch so viele Fotos aus dem Leichenschauhaus zeigen. Es nützt nichts mehr.« Sie lehnte sich zurück und verschränkte die Arme hinter ihrem Kopf, so dass der Bademantel noch etwas weiter aufklaffte. Plötzlich lächelte sie.
Ein boshaftes Lächeln, dachte Tamar. Eines, das Bescheid weiß. Oder so tut. Für einen Augenblick fühlte sie sich hilflos.
»Eigentlich unterhalten wir uns auch nur, weil Sie ›bitte‹ gesagt haben«, fuhr Tabea fort. »Es ist also ein erzieherisches Gespräch. Es soll das genaue Gegenteil von dem sein, wie sich Ihre sächsischen Kollegen aufgeführt haben.« Sie löste ihre Hände wieder und zog, als fröstele sie, ihren Bademantel vor der Brust zusammen, so dass er ganz hochgeschlossen war. »Denn was Ihre Kollegen mit mir gemacht haben, das war eine Vergewaltigung. Eine Vergewaltigung ohne Penetration, aber sonst mit allem, was dazugehört. Das hat damit begonnen, wie man mich mitten in der Nacht auf der fast leeren Autobahn abgefangen hat.«
Sie stand auf und ging zu dem Fenster, das vom Staub halbblind war. »Ich war schon Stunden unterwegs, da hab ich gemerkt, dass ein Wagen hinter mir ist, die ganze Zeit schon, mit immer gleichem Abstand. Ich dachte, irgendwann passiert etwas, das ist dann ein Überfall, irgendwelche Skinheads... Dann war auf einmal ein Auto vor mir, und sie zeigten diese rote Kelle, dieses...« - Sie drehte sich um und hob ihre Stimme -
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