Forellenquintett
»POLIZEI! FOLGEN SIE MIR, und ich bin gehorsam mit rausgefahren auf einen Parkplatz, was ist das nur für ein Scheißgehorsam, dass man hinterherfährt, als wäre man ein Schaf, und auf dem Parkplatz, da standen sie schon wie in Gorleben, Scheinwerfer blendeten auf, und Lautsprecher dröhnten, STEIGEN SIE AUS! MIT ERHOBENEN HÄNDEN! Und sie hatten ihre Maschinenpistolen im Anschlag und zielten auf mich und auf mein altes kleines Auto, ich kam mir vor wie Bonnie ohne Clyde und dachte, das alles kann nicht wahr sein, das kann doch dir nicht passieren, und im gleichen Augenblick wusste ich, es passiert doch, mit dir geschieht es, das sind kostümierte Verbrecher, gleich werden sie...« Sie atmete tief durch. »Ich werde Ihnen jetzt nichts vorheulen, obwohl das, was zwei von Ihren Kolleginnen mit mir gemacht haben, dann doch einer wirklichen Vergewaltigung ziemlich nahe kam. Angeblich war es eine Leibesvisitation... Da fällt mir ein, machen Sie so etwas auch? Und gefällt es Ihnen, gefällt es Ihnen vielleicht ganz besonders, wenn Sie es mit einer Frau machen können, gibt es Ihnen einen Kick?«
»Die Umstände sind leider meist nicht so besonders appetitlich«, antwortete Tamar kühl. »Aber ich bedanke mich für Ihren Bericht. Sie haben mir, wenn auch vielleicht unbeabsichtigt, eine wichtige Information gegeben.«
Die Sängerin runzelte die Stirn. »So?«
»Sie haben da einen sehr großen Bahnhof bekommen«, erklärte Tamar. »Seien Sie mir nicht böse, aber der war nicht für Sie bestimmt.«
»Für wen dann?«
»Sie singen Lieder ohne Worte«, sagte Tamar höflich. »Ich stelle mir das sehr reizvoll vor. Aber ich denke, Sie brauchen eine Begleitung dazu, eine kleine Combo oder einen Pianisten.« Sie lächelte, scheinbar arglos. »Der Polizeicomputer kennt Sie übrigens nur als Tabea Grützke , aber ich bin damit im Internet dann doch auf Ihre Website gekommen. Und da sind ein paar recht nette Fotos drauf, die kennen Sie ja selber, und auf dem einen davon lächeln Sie ins Publikum und strahlen, und hinter Ihnen steht ein Konzertflügel, und man kann gerade noch erkennen, dass da ein Pianist sitzt, ein jüngerer Mann mit etwas langem dünnen Haar und einem Bart...«
Sie legte den Kopf ein wenig schief. »Der junge Mann sah mir zwar auch nicht so aus, als müsse man einen großen Bahnhof für ihn veranstalten«, fuhr sie fort. »Aber irgendeiner von Ihnen beiden ist in eine Sache geraten, aus der man allein nur schwer wieder herauskommt.« Sie sah Tabea aufmunternd ins Gesicht. »Warum bieten Sie mir eigentlich keinen Kaffee an? Vielleicht könnten wir dann etwas lockerer miteinander reden. Zum Beispiel über Ihren Pianisten.«
E lisabeth und Martin Jehle folgten der Oberärztin durch einen ersten Korridor und einen zweiten, bis sie zu einem großen Saal kamen, dessen Fensterfront den Blick auf Bäume und Rasenfläche freigab. Ein Mann mit schütterem schwarzem, schulterlang nach hinten gekämmtem Haar war damit beschäftigt, Aquarelle mittels einer Leiste an der Wand aufzuhängen, die den Fenstern gegenüber lag. Jemand spielte auf einer Flöte, die Töne lang haltend und sie nur behutsam modulierend. Für Martin Jehle hörte sich das sehr fern an oder auch fernöstlich, so genau konnte er das nicht unterscheiden, vermutlich sollte es beruhigend wirken, während er zu den Aquarellen nichts zu sagen gewusst hätte, außer, dass manche der Künstler viel Farbe genommen hatten und andere nur Schwarz oder Blau. Aber er war kein Experte in diesen Dingen, auch wenn sie immer in die Ausstellungen gingen, die regelmäßig in der Zehntscheuer oder in der Alten Komturei gezeigt wurden. Übrigens nahmen die Maler dort auch gern ganz unterschiedlich viel Farbe.
Die Doktorin Capotta sprach mit dem Mann im Malerkittel, er begann, die Aquarelle zu erläutern. Martin Jehle versuchte zuzuhören, aber unvermittelt stieg Zorn in ihm auf und machte ihn taub, bis er sah, dass der Mann eine Hornbrille trug, deren einer Bügel mit einem Heftpflaster zusammengeklebt war, irgendwie besänftigte ihn das. Elisabeth war an der Tür zurückgeblieben und sah sich suchend um, im Hintergrund des Saales machte sich ein jüngerer Mann zu schaffen, schmal und nicht viel größer als ein Meter siebzig, er räumte Malkästen und anderes Utensil in einen Schrank ein.
»Ein sehr starker Kurs diesmal«, sagte der Mann mit der Hornbrille, »sehr sensibel, die farbliche Umsetzung außerordentlich bemerkenswert, sehen Sie nur hier, diese
Weitere Kostenlose Bücher