Forellenquintett
er jetzt ist, sonst findet er gar nicht zurück, und wie soll er dann wieder zum Sprechen kommen?«
»Unser Sohn sitzt nicht einfach vor dem Fernseher«, antwortete Martin Jehle. »Er hört viel Musik.«
»Und manchmal spielt er auch selbst«, behauptete Elisabeth. »Es darf nur niemand dabei sein.«
»Aber vielleicht will er heute mal nicht Klavier spielen oder Musik hören«, wandte Stefanie ein, »der Mensch muss auch mal an die frische Luft.«
Noch einmal sahen sich die Eheleute an, und Elisabeth nickte plötzlich.
»Ja, wenn die jungen Leute es so mit der frischen Luft haben...«, meinte Martin Jehle, holte einen Zwanzig-Euro-Schein aus der Kasse und schob ihn Stefanie hin. »Hier, vielleicht wollen Sie aber irgendwann doch einen Kaffee trinken. Haben Sie sich denn mit ihm über Ihr Vorhaben verständigen können?«
»Das geht schon«, antwortete Stefanie kühl, steckte den Schein ein und deutete einen Knicks an, bevor sie wieder ins Lager ging. Gleich darauf kehrte sie mit Bastian zurück, der bereits in dem hellen Trenchcoat steckte, den Elisabeth aus den alten Beständen ihres Mannes herausgesucht hatte. Die Baskenmütze, die von ihr dazugehängt worden war, hatte hingegen keine Gnade gefunden.
Martin Jehle sah den beiden jungen Leuten nach, die über den Marktplatz zu dem Anlagenweg gingen, der links am Stift vorbei zur Promenade führte. Dann schloss er den Laden ab.
»Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee war«, sagte Elisabeth. »Aber ich habe gerade diese Briefe von der Bank gefunden, die hast du oben liegen gelassen, als die Polizistin gekommen ist...«
D as Hotelzimmer lag im Halbdunkel, der Widerschein der Straßenlaternen ließ schemenhaft die Umrisse des Bettes und des Toilettentisches erkennen. Es war still, selten, dass man einen Wagen über das Kopfsteinpflaster rumpeln hörte oder das Gebell eines Hundes. Die Stores waren so weit zur Seite geschoben, dass die Kommissarin Tamar Wegenast - die etwas abseits vom Fenster auf einem Stuhl saß - Sicht auf den verlassenen Marktplatz und auf das Schreibwarengeschäft hatte, dessen Schaufenster nicht mehr erleuchtet war. Licht brannte dafür in dem Wohnzimmer im ersten Stock. Die Vorhänge vor den Sprossenfenstern waren nicht zugezogen, das Licht war warm und freundlich.
Es sieht behaglich aus, dachte Tamar und musste an ihren Großvater denken, dem seine Behaglichkeit so wichtig gewesen war, dass sie allein das Wort zu hassen begonnen hatte. Außerdem war auf den zweiten Blick zu sehen, dass es hier und an diesem Abend keineswegs angebracht war. Ein Mann stand auf und ging in dem Zimmer umher und setzte sich wieder, nicht für lange, dann nahm er seinen Rundgang durch das Zimmer wieder auf. Es war ein kleiner Mann, Tamar sah nur seine Umrisse, umso deutlicher erkannte sie den viereckigen, etwas wulstigen Kopf. Martin Jehle sprach oder diskutierte oder stritt mit jemand, den man nicht sah, sondern der auf der Couch oder auf einem Sessel saß, außerhalb von Tamars Blickwinkel.
Der Sohn? Merkwürdig, wenn er plötzlich der Adressat einer so ausgedehnten Ansprache sein sollte. Es sah eher aus wie eine dieser klärenden Aussprachen unter Eheleuten, mit denen noch nie etwas geklärt worden ist, aber was heißt hier Aussprache! Es schien vielmehr ein Wasserfall von einem Monolog zu sein, pausenlos und in ein abgrundtiefes Schweigen stürzend.
Und wenn der Sohn schon nicht der Adressat war, so gab er vielleicht doch das Thema ab. Irgendetwas hatte Martin Jehle jedenfalls auf dem Herzen, auf dem endlosen Weg vorbei am Couchtisch und wieder zurück brach sich etwas Bahn, das sich lang schon angestaut haben musste. War er mit dem verlorenen und glücklich wiedergefundenen Sohn am Ende gar nicht einverstanden?
Ein Sirren störte sie auf, sie erhob sich und schaltete die Tischlampe auf dem kleinen Schreibtisch in der Ecke des Zimmers ein. Das von einem Seidenschirm gedämpfte Licht fiel auf Mahagoni-Möbel, auf weiß-gold gestreifte Tapeten und auf das unvermeidliche Aquarell, das einen blaugrünen See und darauf die Boote mit ihren zwangsläufig weißen Segeln zeigte. Irgendwo lag ihr Handy, schließlich fand sie es in einer Falte der Bettdecke, Jachimczak hatte ihr eine SMS geschickt mit der Bitte, ihn anzurufen. Sie rief seine Nummer auf, fast sofort meldete er sich.
»Das ist freundlich, dass Sie zurückrufen«, sagte er. »Unser Etat für Auslandsgespräche ist leider begrenzt. Sehr begrenzt.« Dann wollte er wissen, ob Tamar in
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