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Forellenquintett

Titel: Forellenquintett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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gibt es einen Zugang zum Anwesen Jehle. Auf dem Weg zum Alten Schulhaus wäre Bastian sicher hier lang gefahren, nicht über den Marktplatz.«
    Vor ihnen zog ein alter Mann eine Handkarre mit Baumschnitt, und die Gasse war so eng, dass sie nicht an ihm vorbeikamen.
    »Das ist der alte Hirrlinger«, sagte Marlen. »Er ist einmal beim Baumschneiden heruntergefallen, und seither hat er einen Schein, wie die Leute hier glauben.« Sie hielt vor einem kleinen Durchlass, der links von ihnen zwischen den Vorgärten zweier kleiner Häuser zu einem kleinen gepflasterten Innenhof führte. »Der Innenhof gehört zum Anwesen der Jehles«, sagte sie.
    Tamar stieg aus und sah sich den Durchlass an. Das heißt, sie wollte es, denn als ob er darauf gewartet hätte, schoss aus dem Häuschen links ein weißer Spitz und überschüttete sie, an dem Zaun des kleinen Vorgartens hin und her rennend, mit einer gellenden Kläffe.
    »Is ja gut«, sagte Tamar, was den Spitz aber nur noch mehr anzuspornen schien.
    So stieg sie wieder in den Wagen.
    »Ich hätte Sie vor Maxl warnen sollen«, sagte Marlen Ruoff und fuhr an. »Er ist im ganzen Ort berüchtigt.«
    »Führt er sich auch nachts so auf?«
    »Nachts besonders gerne«, antwortete Marlen Ruoff, »dann rufen die Leute bei uns an, und wir müssen in Gottes Namen mal wieder mit der Katrin Birkle reden. Das ist ein bisschen schwierig, denn die gute Frau Birkle ist steinalt und schwerhörig, und wenn Sie zu ihr kommen, sitzt sie in ihrer guten Stube und hat den Maxl auf dem Schoß und sagt, sie habe schon immer Spitze gehabt - was übrigens wahr ist, schon zu meiner Zeit hatte sie so einen -, und alle seien liebe Tiere gewesen, aber dieser da sei das liebste Tier von allen und täte überhaupt niemandem etwas, und dass er gebellt habe, das könne schon gar nicht sein, sonst müsste sie es ja gehört haben, und Sie sollten ihn ruhig streicheln, aber der Maxl schaut Sie nur an und lauert, ob Sie mit der Hand näher kommen.«
    »Braves Tier«, sagte Tamar. »Sie haben gerade etwas gesagt, was mir gefallen hat.«
    »Habe ich?«
    »Sie sagten: zu meiner Zeit. Und gemeint haben Sie...«
    »Als ich ein Kind war«, vollendete Marlen Ruoff. »Sie haben Recht. Das ist komisch ausgedrückt.«
    »Überhaupt nicht«, widersprach Tamar.
    Marlen bog mit dem Wagen nach links ab, sie kamen an dem kleinen blauen Haus vorbei, dann am Alten Schulhaus, und fuhren auf eine Stoppstelle zu.
    »Wie weiter?«, fragte Marlen Ruoff und nahm den Fuß vom Gas. »Links geht es zur Tettnanger Straße...«
    »Rechts. Ich möchte zum Fluss«, sagte Tamar, die eine Wanderkarte des nördlichen Bodensee-Ufers aufgeschlagen vor sich hielt.
    Marlen nahm die Richtung zum Bahnhof, einem gelb gestrichenen Gebäude mit Schindeldach, danach kamen sie an einem neuen Wohngebiet vorbei, das man mit einer eilig gepflanzten Baumreihe gegen Straße und Bahndamm abzuschirmen versucht hatte.
    Tamar wies auf die Häuser, deren helle rote Dächer weithin sichtbar waren. »Was war da früher?«
    »Kleingärten«, kam die Antwort.
    »Hatte Ihre Tante auch einen? Womöglich hier?«
    »Ich glaube ja...« Sie warf einen überraschten Blick zur Seite, auf Tamar. »Doch, natürlich hatte sie hier ihren Garten, aber wie kommen Sie darauf?«
    »Weil ihr der Bastian am Alten Schulhaus kaum aufgefallen wäre«, antwortete Tamar. »Dort war er vermutlich ziemlich oft. Sie muss ihn hier gesehen haben.«
    Marlen Ruoff schwieg, als müsse sie sich jetzt wieder auf das Fahren konzentrieren. Als letztem Gebäude kamen sie an einem neuen, terrassenförmig nach Süden ausgerichteten Appartementblock vorbei, der mit seinen heruntergelassenen Jalousien aussah wie eine Bunkerfestung, errichtet zur Abwehr einer feindlichen Landung in der Aeschenhorner Bucht. Dann trat das bebaute Gebiet zurück, links und rechts der Straße streifte der Blick über abgeerntete Äcker, aus der Ferne tauchte eine weitere Baumreihe auf, quer zu ihrer Fahrtrichtung. Eine Lücke wurde sichtbar und in ihr die Tragepfeiler einer von Stahlseilen gehaltenen Brücke, die Tamar - als sie darauf zufuhren - wie der Nachbau der Golden Gate Bridge in einem Disneyland vorkam.
    »Können wir hier irgendwo halten?«
    Marlen Ruoff steuerte den Wagen nach links von der Straße, auf einen Parkplatz, der unterhalb der Hängebrücke angelegt war. Die beiden Polizistinnen stiegen aus. Tamar warf einen Blick zum wolkenbedeckten Himmel. Vorhin hatte sie im Autoradio die 17-Uhr-Nachrichten gehört, morgen würde

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