Forellenquintett
ihrer Dienststelle sei.
»Nein«, antwortete sie, »ich sitze im Halbdunkel eines Hotelzimmers.«
»Allein?«
»Das, lieber Freund, geht Sie nichts an.«
»Haben Sie in Ihrem Halbdunkel wenigstens Internet-Anschluss? Ich wollte Ihnen zwei Bilder mailen, zwei weitere Phantombilder, um genau zu sein.«
»Das wird sich machen lassen«, antwortete Tamar. »Sie haben also eine Beschreibung des zweiten Mannes?«
»Ich glaube, eher des dritten. Es ist ein frommer Mann. Er ist gesehen worden, wie er zur Kirche ging.«
»In Kattowitz?«
»Mój milszy Watson!«
»Ja dann«, meinte Tamar. »Aber weshalb zwei Bilder?«
»Eines für vorher und eines für nachher«, antwortete Jachimczak. »Nach der Beichte ist er zum Friseur gegangen.«
»Und der Friseur hat sich bei Ihnen gemeldet?«
»Nein, erst waren es zwei Frauen. Sie haben eine ziemlich detaillierte Beschreibung gegeben, und als die in den Zeitungen und im Fernsehen gebracht wurde, meldeten sich noch andere Zeugen, eine Pensionswirtin, und eben auch der Friseur. Das zweite Phantombild beruht auf seinen Angaben. Der Mann, den er beschreibt, habe englisch zu sprechen versucht, sei aber mit Sicherheit ein Deutscher gewesen.«
M arlen Ruoff hatte sich geduscht und umgezogen, auch wenn sie sich vor ihrem Garderobenspiegel eingestehen musste, dass sie in Jeans, Rollkragenpullover und Lederblouson noch immer wie eine Polizistin auf Freigang aussah. Sie löste ihre Haare und schüttelte die schwarze krause Mähne, bis sie sich etwas gelockert hatte. Aber viel half auch das nicht.
Was soll’s? Sie war, was sie war. Außerdem hatte sie keine Eroberung vor. Sie steckte die Fahrzeugschlüssel für ihren eigenen Wagen ein, einen kleinen Renault, und verließ ihre Wohnung, ein Zwei-Zimmer-Appartement in der Siedlung am Rand des Friedrichshafener Seewaldes. Elke hatte sich am Telefon nicht gemeldet, und ihr Handy war ausgeschaltet. Trotzdem hatte Marlen eine ziemlich konkrete Vorstellung davon, wo sie sie finden würde, entweder ließ sich Elke im Fässle volllaufen oder im alten französischen Casino.
Es sei denn, sie hatte sich von einem Kerl abschleppen lassen. Aber in letzter Zeit war ihr der Schnaps wichtiger geworden als die Kerle.
Im »Fässle« herrschte dichtes Gedränge, denn zu den sonstigen Trunkenbolden hatten sich ein paar Anzugträger gesellt, offenbar Teilnehmer einer spät zu Ende gegangenen Gemeinderatssitzung, die nun lautstark die Pointen nacherzählten, die ihnen im Gemeinderat nicht eingefallen waren. Elke war nirgends zu sehen, und Marlen war schneller wieder draußen, als sie das Lokal betreten hatte.
Das Casino lag in einem alten Wehrmachtsgelände aus den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts, in das nach 1945 französische Heeresflieger eingezogen und dort nahezu ein halbes Jahrhundert geblieben waren. Jetzt hatten sich dort Künstler, alternative Gewerbetreibende und eine private Hochschule niedergelassen.
Auch im Casino war die Luft zum Schneiden dick. Irgendjemand spielte auf einem verstimmten Klavier einen Tango, der aber von Tellerklappern und der Kakophonie des allgemeinen Geredes übertönt wurde. Nirgends eine Elke.
»Schön, dich zu sehen«, hörte sie eine Stimme, zugleich zupfte jemand am Ärmel ihres Lederblousons. Sie stand direkt neben einem Tisch mit mehreren Leuten, ein paar davon kannte sie vom Sehen. Die Frau, die sie am Ärmel gezupft hatte, war Renate, eine kleine energische Lehrerin, die sie im Sommer manchmal im Strandbad traf und die ihr jedes Mal davonschwamm.
Und neben Renate hockte, schief auf dem Tisch aufgestützt und sich an einer Zigarette festhaltend, Elke.
»Setz dich doch«, meinte die Lehrerin, und eilfertig stand einer der Männer am Tisch auf und holte einen weiteren Stuhl.
»Danke«, sagte Marlen und zeigte auf Elke, »aber ich bin nur gekommen, um das da aufzuräumen.«
»Ach!«, sagte Elke, »guckt mal. Da ist die Marlen. Dein Freund und Helfer. Oder geschlechts-...« Sie versuchte sich noch eine Weile an dem Ausdruck »geschlechtsspezifisch«, ließ es dann aber bleiben. »Deine Freundin und Helferin. War sie schon immer.«
»Wir passen schon auf, dass ihr nichts passiert«, sagte die Lehrerin. »Das Problem ist nur, sie will sich nicht nach Hause bringen lassen.«
T amar schloss die Tür hinter sich und ging die mit einem Läufer ausgelegte Hoteltreppe hinunter. An der Rezeption saß noch immer das junge blonde Mädchen, das Julia hieß und das ihr bei der Ankunft
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