Forgotten
innehalten und sich zu uns umdrehen. »Sag bitte, dass du da drunter eine Hose anhast!«
Ich nehme meinen Wunsch von eben zurück. Sie kann wieder verschwinden.
»Pst, Jamie, es starren schon alle!«, zische ich, packe meine beste Freundin am Arm und ziehe sie zu mir hin. Dabei rieche ich das Parfüm, das sie ihr ganzes Leben lang tragen wird.
»’tschuldigung«, meint sie unbekümmert, »aber das da –« sie zeigt auf mein T-Shirt und lacht schallend – »sieht wirklich verboten aus.«
Ich blitze sie strafend an.
»Was denn? Mit dem falschen Bein aufgestanden?«, fragt sie und hakt sich bei mir unter.
»Hm«, antworte ich leise, weil Luke immer noch in der Nähe ist. »Ich hab mein T-Shirt für Sport vergessen. Offenbar nicht zum ersten Mal.«
Jamie tätschelt mir mitfühlend die Schulter, bevor sie zu einem anderen Thema überwechselt. »Ich frage gar nicht erst, wer dir das Teil da geliehen hat. Sag mal, hast du Anthony hier irgendwo gesehen?« Ihr Blick schweift suchend durch die Menge, kommt aber, ebenso wie all ihre Gedanken an Anthony, abrupt zum Stillstand, als sie Luke entdeckt. Meinen Luke.
»Na, hey«, sagt sie zu ihm.
»Hey«, antwortet er, ohne sie dabei anzusehen. Sofort gefällt er mir noch ein bisschen besser.
»Wer bist du denn?«, will sie wissen. Dabei neigt sie den Kopf zur Seite wie eine neugierige Katze.
»Luke Henry.« Jetzt sieht er sie doch für ein Augenzwinkern lang an. »Ich bin neu hier. Heute ist mein erster Tag.« Schon schaut er wieder weg und lässt den Blick über die Menge schweifen, als wäre es ihm mit uns allmählich zu öde.
Jamie ist es nicht gewohnt, dass Jungs in die andere Richtung gucken, wenn sie in der Nähe ist, und angesichts ihres Ensembles aus Minirock und hautengem Top, das sie heute anhat, überrascht Lukes Desinteresse auch mich. Sie verlagert das Gewicht auf den anderen Fuß, schiebt die Hüfte vor und fragt: »In welcher Klasse bist du?«
»Elfte«, sagt Luke.
»Cool, wir auch.«
Ich hege schon die Hoffnung, dass sie mit ihrem Verhör fertig ist, aber ich habe mich zu früh gefreut.
»Und wieso fängst du ausgerechnet an einem Freitag an?«
Kannst du nicht bitte einfach die Klappe halten?, flehe ich im Stillen.
Luke wirft ihr einen flüchtigen Blick zu, aber sofort wandern seine Augen weiter – bis sie bei mir angekommen sind.
Er ist wieder da!
»Ich hatte nichts Besseres vor heute«, sagt er beiläufig. »Die Umzugskartons waren ausgepackt. Warum zu Hause rumsitzen?«
»Aha … und woher kommt ihr?«
Hör auf damit!
»Wir sind aus Boston hergezogen.«
»Du hast aber gar keinen Akzent«, stellt Jamie fest.
»Ich bin auch nicht da geboren.«
»Aha!«, sagt Jamie und schüttelt sich die blonden Haare aus den Augen. Dieses Haarschütteln – das sie noch auf dem College erfolgreich zur Anwendung bringen wird – ist ein glasklares Indiz dafür, dass sie in den Flirt-Modus geschaltet hat, und beste Freundin hin oder her, meine Krallen sind ausgefahren.
Mein Körper muss meine Abwehrhaltung irgendwie ausgedrückt haben, denn Jamie entzieht mir ihren Arm und sieht mir forschend ins Gesicht. Sie schaut zu Luke, dann wieder zu mir.
»Hmm«, macht sie nachdenklich, und ich habe panische Angst, dass sie was Peinliches sagen könnte, aber stattdessen fährt sie fort, Luke zu grillen. »Und wo habt ihr davor gewohnt?«
Doch Jamie wird von einer urplötzlich eingetretenen Stille unterbrochen. Nun, da das Alarmsignal endlich zum Schweigen gebracht wurde, schnappt sich Direktor Flowers ein Megaphon und fordert uns auf, unverzüglich ins Schulgebäude zurückzukehren, und zwar in einem Ton, der keinen Zweifel daran lässt, dass er jede Minute seines Lebens verflucht, die er in unserer Gegenwart verbringen muss.
Jamie und ich sehen uns an und brechen in schallendes Gelächter aus. Niemand, der unseren schmächtigen Schulleiter zum ersten Mal sieht, würde vermuten, dass er über einen derart dröhnenden Bass verfügt. Selbst bei uns löst das noch jedes Mal Heiterkeit aus. Wenigstens ist das der Grund, weshalb ich lache.
Nachdem wir uns wieder beruhigt haben, drehe ich mich um und schaue zu Luke. Soll heißen: Ich will zu Luke schauen. Daraus wird aber nichts.
Er ist nämlich weg.
Frustriert sehe ich mich in der Menge um, aber alles, was man in dem Meer aus Grau, Beige und Schwarz erkennen kann, sind die rot-schwarz-weißen Cheerleader-Sweatshirts. Nach denen habe ich bestimmt nicht gesucht. Ich merke, wie Verzweiflung in mir
Weitere Kostenlose Bücher