Forlorner (Salkurning Teil 1) (German Edition)
einfallen.
Pix war doch im Ulgullen-Wagen untergekommen! Sie
musste mehr über Orla wissen! Pix war zwar die denkbar schlechteste Adresse, an
die man sich in so einer Angelegenheit wenden konnte, aber leider war sie auch
die einzige. Er würde sie morgen ausfragen. Und dann konnte er auch gleich nach
ihrem Handy fragen. Falls es noch mal eine Empuse zu fotografieren gab.
2
An
diesem Morgen war es nicht der Hunger, der Pix weckte, es waren nicht einmal
die Schmerzen in ihren aufgescheuerten Fersen oder ein Krampf in der Wade – an
diesem Morgen war es das hektische, endlose Geflüster ganz in ihrer Nähe, das
sie nach und nach aus dem Schlaf zerrte.
Es musste noch früher sein als sonst, denn es war noch
so gut wie dunkel. Sie riskierte einen Blick in Richtung Wagenmitte, von woher
das Gequassel kam. Da hockten sie schon wieder zusammen, Odette und Jakobe.
Gestern Abend hatte es ein Riesentheater wegen Orla gegeben, und später ging
dann dieses geheimnistuerische Geflüster zwischen Odette und Jakobe da am Tisch
los. Und alles, weil Orla die Zeit, in der Odette ihre Wahrsagenummer abzog,
dazu genutzt hatte, sich mal aus dem Wagen abzuseilen. Pix hatte vollstes Verständnis
für diesen Ausbruch, denn sonst saß Orla immer nur hier und webte. Sogar wenn
alle anderen draußen neben den Wagen her marschierten, musste die liebe Orla
drinnen sitzen. Weil ihre Mutter das so wollte. Sie ließen sie nicht mal mit
den anderen zusammen essen, angeblich, weil sie ja sowieso nicht sprechen
konnte.
Und dann war sie gestern plötzlich verschwunden
gewesen. Odette flippte total aus, und obwohl sie ihre Tochter fast sofort
entdeckt und wie eine Gefangene in den Wagen zurück abgeführt hatte, kriegte
sie sich gar nicht wieder ein. Und Orla saß nur da, Kopf gesenkt, Hände im
Schoß, der Inbegriff demütiger Dämlichkeit. Völlig unklar, wieso ihre Mutter
sich so aufregte. Als hätte die ihr Herzblatt dabei erwischt, wie es sich mit
irgendwem nackt auf der Wiese wälzte. Was man ihr nicht mal verdenken könnte,
dachte Pix, so wie die sie hier gefangen hielten.
Am Ende zwang Odette ihrer Tochter das heilige
Versprechen ab, nie wieder allein aus dem Wagen zu gehen. Und dabei
hatte sie ihr die Haare geflochten – als wäre Orla fünf und nicht achtzehn.
Aber so lief das hier immer.
In den ersten Tagen, als es durch diesen Wald die
Berge raufging, hatte Pix gedacht, Orla wäre nicht ganz dicht im Kopf, weil sie
nichts sagte und sich dauernd rumschubsen ließ (Odette oder Jakobe begleiteten
sie sogar auf das Horrorklo im Anhänger der Vogelfrau – auch ein Kapitel für
sich, dieser Ort). Erst Nella hatte ihr gesagt, dass Orla ganz einfach stumm
war. Padauni . Was wohl so viel bedeutete wie nicht vollwertig ,
schloss Pix, denn dasselbe Wort verwendete Jakobe auch für die Tattergreise,
die gestern aus dem Dorf angekrochen waren, um sich von Odette oder James
behandeln zu lassen.
Außer Jakobe war Nella die Einzige, die mit Pix ganz
normal redete. Sie hatte ihr auch erzählt, was Pix bis dahin nur aus dem Getue
der beiden Frauen erschlossen hatte: dass Orla nämlich demnächst heiraten
würde. Verheiratet werden würde traf es besser, denn das lief hier
anscheinend wie ein Kuhhandel. In Orlas Fall waren es wohl schwierige Verhandlungen
gewesen. Jedenfalls lebte Odette jetzt in der Panik, ihr Schätzchen könnte die
Sache im letzten Moment doch noch ruinieren, indem sie sich von irgendwem
entjungfern ließ. Und Beschädigung der Ware war Grund genug, den Handel zu
kündigen.
Odette und Jakobe hatten ihr von Anfang an
eingeschärft, auf Orla aufzupassen und immer Bescheid zu sagen, wenn sie den
Wagen verließ oder sonst was tat außer an ihrem Arbeitsplatz zu sitzen. Pix war
ziemlich sicher, dass sie ihr überhaupt nur deshalb so bereitwillig Platz in
ihrem Wagen gemacht hatten, weil sie dringend noch einen Aufpasser brauchten.
Nicht, dass sie viel Platz gemacht hätten. Es
gab nur ein Bett hier, und das teilten sich Orla und ihre Mutter. Jakobe
schlief auf einer Art Brett, das mit Seilen und Haltern an der Wand befestigt
war und tagsüber hochgeklappt wurde. Für Pix rückte sie etwas zur Seite. Das
Ganze hatte was von Knast.
Die Nächte verbrachte sie in Mumienhaltung auf ihrer
Seite des Schlafplatzes. Auf keinen Fall wollte sie Jakobe näher als nötig
kommen. Mit einer Fremden das Bett teilen zu müssen, das war wirklich die total
krasse Zumutung. Nicht mal nachts war man für sich. Stundenlang lag sie da,
starrte in die
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