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Forlorner (Salkurning Teil 1) (German Edition)

Forlorner (Salkurning Teil 1) (German Edition)

Titel: Forlorner (Salkurning Teil 1) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Loons Gerringer
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Lichtbahn, die dieser irre Mond durch das Fenster in den Wagen
warf, und nach und nach spürte sie die Konturen ihres Körpers sozusagen von
innen, wie die Wände eines Raumes, in dem sie sich verkrochen hatte. Das war
die Grenze ihrer Privatsphäre. Dieser Körper war alles, wo sie noch für sich
war. Überall sonst waren die anderen, war die Fremde .
    Und obwohl sie ständig alle aufeinanderhockten,
beachtete man sie, Pix, eigentlich gar nicht. Sie redeten nicht mit ihr, außer
dass sie ihr Befehle erteilten – tu dies, tu das, spül den Kram am Bach, hol
Wasser, geh schneller – und das waren auch nur die Frauen. Die Männer starrten
sie entweder an oder ignorierten sie völlig, aber mit ihr gesprochen hatte noch
keiner von denen. Nicht, dass sie scharf drauf gewesen wäre.
    Sie fühlte sich total zerschlagen. Ihre Füße und Knie,
ihr Rücken – jeden Morgen dachte sie, sie würde nicht mehr von der Pritsche
hochkommen. Dazu kam noch der Hunger. Was die hier aßen! Brei! Wildschwein! Frösche !
Und dazu komisches Grünzeug, das sie kurz vorher am Wegrand ausgerissen hatten.
Gekocht sah es aus wie etwas vom Komposthaufen ihrer Tante. Und so schmeckte es
auch. Manchmal hatte sie glühende Visionen von einer Pizza, ganz wie im
Werbespot, mit zerlaufenem Käse und heißen Fetttröpfchen auf den Salamischeiben
und allem.
    Beim Gedanken daran lief ihr der Sabber im Mund zusammen
und ihr Magen fing an zu knurren. Sie drehte sich zur Wand um, langsam, damit
Jakobe bloß nicht auf sie aufmerksam wurde – die hätte sie gnadenlos an
irgendeine Arbeit gescheucht, Wasserholen, Feuerholz suchen oder wer weiß was
sonst. Vorsichtig schob sie die Finger um die Innenkante der Pritsche oben
neben ihrer Hose, die sie zusammengerollt als Kopfkissen verwendete. Sie
ertastete einen glatten, erstarrten Klumpen, löste ihn vom Holz und steckte ihn
in den Mund. Der letzte Überlebende aus ihrer Kaugummipackung. Ein kleines
Stück normale Welt, schön künstlich und weit weg von halbrohem
Wildschweingulasch oder gefüllten Fröschen. Jede Nacht hatte sie so ein
ausgekautes Klümpchen neben sich an die Holzkante geklebt, nicht imstande, es
endgültig wegzuwerfen. Bis auf einen, den musste sie beim Einschlafen
verschluckt haben. Diesem Klumpen hier war nur noch eine ganz ferne Erinnerung
an Erdbeeraroma abzupressen. Ein letzter Gruß aus ihrer Welt, wo immer die
jetzt sein mochte. Selbst in ihrem Kopf verschwamm sie schon wie etwas, das man
nur geträumt hatte. Panik ! Ob man wirklich vergessen konnte, wo man
herkam und dass das alles hier einfach nur falsch war?! Konnte das so
schnell gehen?! Sie würden für immer hier steckenbleiben, wenn sie vergaßen,
dass das hier nicht die Realität war!
    Das Problem war, alles war so anstrengend, man musste
den ganzen Tag aufpassen, dass man nichts falsch machte. Alles mitmachte. Sich
nicht verriet. Irgendwie überlebte. Da war so ein Bild in ihrem Kopf, wie sie
sich an den Wegrand setzte, nur kurz ausruhen, weil sie nicht mehr konnte (Blasen
an den Füßen, Seitenstiche, Krämpfe in den Beinen), nur ganz kurz ausruhen …
und dann rückten diese Scheißwagen immer weiter von ihr weg, langsam, aber
unaufhaltsam. Und sie konnte einfach nicht mehr aufstehen. Und blieb allein
zurück. Total allein. Dieses Bild drohte ständig in ihrem Hinterkopf und
trieb sie zum Weitergehen an, obwohl ihre Füße an manchen Stellen schon
aussahen wie rohes Fleisch.
    Und nachts, wenn es dann mal still war, konnte sie
nicht einschlafen, weil ihr all die Sachen einfielen, an die sie nicht denken
wollte. Zum Ausrasten war das. Sie versuchte sich in den Schlaf zu zwingen
(wenn man hier nicht mal das bisschen Schlaf mitbekam, dann konnte man sich ja
ausrechnen, wie lange man noch durchhielt, bis man endgültig abkackte). Aber
der richtige Schlaf kam nicht, oder höchstens irgendwann morgens, kurz bevor es
hell wurde. Bis dahin lag sie in so einer Art Erstarrung herum, in der sich
Traum und Denken ätzend vermischten. Und wenn man tatsächlich mal eindöste,
dann konnte man sicher sein, dass es nebenan plötzlich laut wurde, weil sich
die Vogeltussi wieder durchvögeln ließ. Irgendwas knallte in eindeutigem
Rhythmus gegen die Wagenwand – das Bett? Jujuna Tirps Kopf?! – und kurz vor
Schluss dann noch wildes Gestöhne. Zum Kotzen. Zum Glück dauerte es nie lange,
aber wenn man tatsächlich schon mal vorher eingeschlafen war, dann riss einen das garantiert wieder raus. Und außerdem schnarchte Odette so, dass man es

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