Forlorner (Salkurning Teil 1) (German Edition)
Kräuterkasten zu holen, und seine Erleichterung darüber war so groß,
dass er den Impuls, sie zu erwürgen, gerade noch einmal unterdrücken konnte.
„Also. Die Deichsel ist tatsächlich angebrochen“,
sagte Stanwell und stand auf. „Und zufällig ist das nicht passiert, die hat
jemand von unten angesägt. Ist ’n Wunder, dass das so lange gehalten hat!“
„Dürfte wohl klar sein, wer das war!“, schnaubte
Odette.
Stanwell nickte düster. „Da will uns jemand zeigen,
wie mies es uns ohne Geleitschutz ergeht. Sikka , so können wir nicht
weiter! Sikka ! Wir kommen niemals pünktlich nach Gassapondra!“
Ein Unglück mehr. James hatte einfach keine
Empfindungen mehr übrig dafür. Zu wenig Schlaf, zu viel Stress. Sein Kopf
schwamm schon seit Stunden. Er trottete hinter Jakobe her, die, ohne sich
umzusehen, Kriopes Wagen ansteuerte.
„Was machst du hier, Halfast?“, war das Erste, was sie
drinnen fragte.
„Ein bisschen Heilkunde lernen“, gab Halfast
schlagfertig zurück. „Man weiß nie, wann man es braucht.“
Das würdigte sie keiner Antwort, sondern wandte sich
Kriope zu. „Die Verbände sehen gut aus. Die Wunden können kaum nachgeblutet
haben.“
„Ja. Ist wirklich ein gutes Heilmittel.“
„Vielleicht kannst du es dir merken, Hakemi.
Nittichwurzel. Aufguss, Öl, Balsam – es ist eine sehr vielseitige Pflanze.“
„Ich merk’s mir bestimmt. Und mein Name ist James.
Lass doch den Hakemi-Quatsch.“
Sie hatte nicht einmal zugehört. Sie beugte sich über
Kriope, berührte ihre Stirn, strich an ihrer Wange entlang und über die
verbundenen Hände, was Kriope laut aufstöhnen ließ. Schließlich drehte sie sich
wieder um und blickte in die gespannten Gesichter von James, Halfast und
Dionyssu, der sich auf seinem Lager aufgerichtet hatte. Ein leises Lächeln
flackerte um ihren Mund.
Sie genießt das, dachte James. „Und?“, fragte er
barscher, als er wollte.
„Vielleicht kann ich ihr helfen … aber ihr haltet euch
raus dabei.“
„Na klar“, sagte Halfast und nickte James drängend zu.
Ihm passte das gar nicht, aber er musste sich geschlagen geben. Also sahen sie
alle von Dionyssus Lager aus zu, wie Jakobe in ihrem Kasten herumkramte, ein
Messerchen und einen Beutel hervorzog und diesem wiederum eine kapselförmige
Metalldose entnahm. Dann wandte sie ihnen den Rücken zu, sodass sie nicht
weiter verfolgen konnten, was sie tat.
So hantierte sie noch eine Weile herum, dann hörten
sie sie leise sprechen: „Kumatai, Herrin der Nacht! Du schenkst dein Licht
gnädig denen, die im Dunkeln sind! Du bist die Herrin der Pilze! Heilung oder
Tod gewährst du nach deinem Ermessen! Sei gnädig deiner Dienerin, die Hilfe
erfleht!“
Es war bizarr. Wieder dachte James sehnsüchtig an die
streng geregelte Hektik in der Notaufnahme, an Infusionen und Morphium, und
hätte schreien können. Stattdessen präsentierte ihnen Jakobe ein unscheinbares,
bräunliches Kügelchen.
„Ein teurer Spaß“, sagte sie. „Aber wirksam.“ Und dann
schien sie, wenn auch mit einem ironischen Ausdruck in den Augen, auf sein Okay
zu warten. Er nickte also. Und wenn sie Kriope damit umbrachte – er hatte
nichts in der Hand. Der Hakemi von drüben hatte in diesem Fall eindeutig nichts
zu melden.
„Also, kannst du das hier kauen?“, wandte sich Jakobe
an Kriope.
Deren gerötetes, aber unverletztes Auge fixierte mit
verzweifelter Konzentration auf das Kügelchen, das Jakobe ihr vors Gesicht hielt.
Sie stieß einen Laut hervor, der nach Zustimmung klang. Jakobe schob ihr die
Pille in den Mund. „Verschluck dich nicht! Kau es oder lass es zergehen!“
Minutenlang sahen sie zu, wie Kriope zuerst zu kauen versuchte,
es dann aufgab. Von draußen hörte man Kinder schreien, die spielten anscheinend
Fangen zwischen den Wagen. Das Zittern in Kriopes Händen ließ nach. Ihr Körper
entspannte sich sichtlich. Ihr Auge schloss sich. Sie atmete ruhig.
Jakobe drehte sich mit schlecht verhohlenem Triumph zu
James um. „Sie wird jetzt schlafen und keinen Schmerz spüren. Vielleicht
mehrere Stunden lang. Danach sollte sie starke heiße Brühe bekommen. Ich werde
sehen, was ich da habe.“
„Danke.“ James war wider Willen beeindruckt, umso
mehr, als ihm Kriopes Puls nicht schwächer erschien. Dann hatte er eine
plötzliche Erleuchtung. „Das war Rakuutsp, oder?“
„Sieh an, der Hakemi! Da hat er doch das ein oder
andere gehört!“ Aber ihre Augen wurden kalt. „Wenn ich du wäre, Hakemi, würd
ich darüber nicht
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